Über das Meer Diesen Artikel drucken

[…] Das Meer war anders. Der Lauf der Welt berührte es nicht und hatte es auch nie berührt, blieb nur eine Spur im Sand, die es mit Leichtigkeit davontrug. Die ewig gleiche Kakophonie der Staaten, Kulturen und Kriege hatten es nur wenig betrübt, und selbst den Lauf der Gestirne nahm es mit dem Achselzucken der Gezeiten, es wich, ohne sich zwingen zu lassen, kehrte zurück, ohne sich aufdrängen zu müssen.
Es brach sich an dieser Küste wie an jenen, die es schon vor Urzeiten verschlungen hatte, mit demselben Kaleidoskop eines Rauschens, und selbst wenn die Wissenschaftler sagten, dass es nicht immer hier gelegen haben mochte, so schien es doch an jeder Küste schon immer gewesen zu sein.
Menschen fanden Begriffe, Ideen, führten Dialoge und Kämpfe, benutzten unendlich viele Worte, um das wenige zu benennen, das sie zu wissen glaubten.
Das war nicht die Natur des Meeres, seine Stimme kannte nicht Tausende Wörter und auch keine Lyrik, keine bücherfüllenden Geschichten, es gab keine Metaphorik oder Allegorie in seinen Tiefen, und vielleicht eilten die Gedichte der Menschen stets nur dieser Ungebrochenheit hinterher, dieser bedeutungsvollen Inhaltslosigkeit. Es musste sich nicht erklären und dennoch erklärte es die Ewigkeit. Es wusste nichts von Moral und dennoch war es nie neutral. Es kannte kaum Worte und klang dennoch immer anders. Rauh etwa, wenn der Sturm es aufpeitschte und kleine Schaumkronen durch die Nacht schlug. Mißmutig und stur an einem verregneten Herbsttag. Oder sanft und liebevoll, wenn es an einem sonnigen Tag vorsichtig einen Sandstrand abtrug, Korn für Korn. All dies kostete das Meer nicht mehr als eine Zeile, keine Bibliothek voller Partituren und Dramen. Es war nur eine einzige Zeile, auf der jede einzelne Welle tanzte. Immer wieder auf die gleiche Weise. Immer wieder anders.

„Was den Menschen am Meer fasziniert?
Du kannst mit dem Meer singen, gegen das Meer, über das Meer. Aber du kannst niemals so laut tönen wie das Meer selbst; deine Stimme bleibt die fast unhörbare Begleitung eines gigantischen Orchesters, und dein Ego muss zurücktreten und anerkennen;
Ich bin wie die Wellen, ich komme, ich gehe, und danach bleibt keine Spur von mir.“

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