Etwas schüchtern zogen die Laternen an den Fenstern des Wagens vorbei, lautlos beleuchteten sie die Straße und die Fußwege, das fahle Licht schien ihnen, nur ihnen eigen zu sein. Sie weckten ein vertrautes Gefühl, das immer mit ihm fuhr, wenn er diesen kleinen Ort passierte, der etwas verloren an einem Hang lag, von schönen Bäumen und einigen Wiesen umgeben. Schon lange hatte er den Wald nicht mehr besucht, es schien ihm nicht mehr passend, auch wenn er sich gerne an die langen Wanderungen erinnerte, die er dort unternommen hatte, ja, er pflegte diese Erinnerungen oft, und gerne rief er sich die unzähligen Details zurück, die kleine Lampe, die den Weg vor ihm erleuchtet hatte, die Geräusche der Tiere, die sich davon zu stehlen suchten, die beiden langen Straße, die einem Fackelzug gleich vom Stadtkern in den Wald führten.
Manchmal setzte er sich in den Wagen und fuhr diese Strecke einfach nur so, um wenigstens den Laternen einen fahlen Gruß abzunehmen, ihm gefiel immer noch die Art und Weise, wie ihr Licht sich an Autos und Bordsteinen streute. Die Farbe war in einer spirituellen Lesart anders als die nächtlichen Farben anderer Orte, anderer Straßen, sie fing mehr als nur Objekte ein, warf mehr als nur blaßgraue Schatten, etwas Vertrautes klebte an ihr und blieb dort, er wusste nicht, wie lange, vielleicht für immer.
Da war ein Unterschied zwischen den Erinnerungen der Wanderungen und dem Vertrauten in diesen häßlichen Straßenlaternen, ein Unterschied wie der zwischen Teil und Ganzem. Erinnerungen blieben eindimensional wie Schatten an einer Wand, sie blieben der Widerhall einer Vergangenheit, die langsam ausblich und verging wie ein altes Foto, auch Erinnerungen waren sterblich. So kurz das Leben auch war, es blieb immer Zeit zu vergessen, so oder so ähnlich hatte es Wilde geschrieben. Doch dieses Leuchten, diese seltsame Farbe, sie war anders, eine ironische Koinzidenz ließ sie mehr sein als nur das, mehr sein als nur den ordinären oder sogar obszönen Verweis auf ein kleines Bünden Erinnerungen, sie warf nicht einfach nur Licht und Schatten, eine melancholischer Wechsel der Sichweise schien ihr inne zu wohnen, sie bot eine ganz andere Perspektive, die eines früheres Leben möglicherweise. In diesem Licht schienen die Pfade klarer und kürzer als an anderen Plätzen, die Straße schien keinem Ende zuzustreben, sondern nur in eine größere zu münden, gesäumt von eben den gleichen Laternen. Der Blick für manche Dinge wurde schärfer, bei diesem Licht, aber manches verschwamm auch ein wenig, wurde trivial, manches sogar gänzlich überflüssig, so etwa die Gedanken, die die Menschen zu dieser Zeit für gewöhnlich umtrieben. Natürlich hatten die vielen Nächte auch diesem seltsamen Spiel zugesetzt, hatten die geraden, hellen Licht- und Gedankenstränge einer etwas sachlicheren Realität angepasst, es in das kalte Weiß-Grau von Neonröhren eingefasst. Die lange Zeit war in den Maßstäben dieser Wirklichkeit nur ein Wimpernschlag gewesen, und so war er sich sicher, dass das geisterhafte Licht der Laternen immer noch jenes war, dass er früher so genossen hatte, sicher hatte man nicht einmal die Leuchtstoffe austauschen müssen. Dennoch, er sah einen Funken Müdigkeit darin, der stetig wuchs und das Licht dunkler erschienen ließ, gelblicher und etwas rissig wie alte Ölfarbe, die lange schon getrocknet war. Diese anderen Perspektive, in die er sich immer wieder gerne hineinfand, sie verlor nicht mehr den Anstrich der Nostalgie und des Gewesenen. Zweifelsohne, dieses andere Leben würde niemals vergehen, nicht, so lange diese Laternen und diese Straßen noch da waren und beharrlich daran erinnerten. Aber die Nostalgie würde sich mehr und mehr ihrer bemächtigen, ganz so, wie sich Staub und Schimmel eines alten Tagebuchs bemächtigten.
Sein Blick fand in den Spiegel, suchte die sich entfernende Lichterkette. Manche Dinge blieben auch im Rückspiegel der Zeit, manche fast eine Ewigkeit. Diese aber gewannen dafür von Tag zu Tag mehr und mehr den Beigeschmack einer gespielten Wiederholung, eines schon gesehenen Films mit dennoch fremden Schauspielern. Man konnte sich noch hineindenken in die Perspektive des Schauspiels, fand den anderen Blickwinkel wieder und blickte trotzdem in ein fremdes Leben, dass man irgendwann einmal zu leben versucht hatte. Und so war es auch mit diesem Licht, das an sie geknüpfte fremde Leben war schwer geworden von einer Patina aus Zeit und Wehmut. Die Laternen konnten nicht mehr in der selben, eigentümlichen Farbe strahlen. Die Zeit und die Nostalgie hatten das Licht müde werden lassen. Und was dann blieb, das war nur noch die Farbe vergangener Jahre.