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Die andere Welt/Depression

Manchmal, da kann man sie fast sehen, fast berühren, diese andere Welt, doch meist bleibt sie schemenhaft. Aus den Augenwinkeln nur nehmen wir sie dann wahr. Und doch bleibt Sie ein Sinnes-Spiltter, die flüchtige Wahrnehmung eines überreizten Nervensystems, sagen wir uns gerne, obwohl wir es besser wissen, besser wissen müssten.

Natürlich haben wir sie schon lange beobachtet, immer schon, manchmal verstohlen zu ihr hinüber gesehen, und vermutlich hat sie das selbe getan.

Dort war Musik nur das dumpfe Rauschen von anonymen Maschinen, immer gerade so diffus, dass es – nur fast – eine Bedeutung verbergen konnte; jahrelang konnte man diesem Rauschen zuhören, seine Botschaften blieben immer Täuschung, die Zufälligkeit von Statik, die doch immer entschlüsselt werden wollte und dennoch nur rastloses Plappern blieb. Der Raum hatte etwas Endgültiges, Hoffnungsloses dort, nirgendwo die Unendlichkeit eines Ozeans oder Sternenhimmels, nur noch die stählerne Sarkophaghaftigkeit der Bühne eines absurden Theaterstücks. Licht war ein grelles Lachen, das keinen Schatten mehr ließ, ohne irgendeine Farbe zum Erstrahlen zu bringen, ein gebliches Lächeln voller unsteter Risse zwischen den faulen Zähnen. Menschen waren dort nur verzerrte Fratzen und Hass, und nichts entstellte dort drüben mehr als ein Lachen, sei es noch so rein und glockenhell. In dieser Gegenwelt gab es keine Menschen mehr, die zu Räubern, Mördern und Schlimmerem geworden waren; nur noch Mörder, die manchmal zu Menschen wurden. Was hier gut war, das schien dort mehr ein Scherz, eine zynische Wendung. Ideen und Gefühle alterten dort schneller als alles andere, sie bekamen Risse und erschienen oft nur noch wie alte, kitschige Filme auf verdorbenem Zelluloid, die niemand mehr ernstnehmen konnte. Jede schöne Illusion unserer Welt wurde dort zur Desillusion, zum in sich verdrillten Konter eines bösartigen Schlägers, der uns in den Untiefen unserer Psyche auflauerte, und keine Worte begleiteten noch seine Schläge, nur das dumpfe Hallen seltsam euphorischer Ausweglosigkeit.

Nehmen wir sie wahr, so nimmt sie auch uns wahr, ihre Passivität ist ein falsches Spiel, genau wie unser Erschrecken ein Spiel ist. Wir gehören zu ihr, wie sie zu uns gehört.
Sie ist da, diese Gegenwelt, vielleicht versteckt in den Falten der Zeit, vielleicht auch nur in uns, aber sie existiert, sie ist da – und wartet.
Sie ist überall und zugleich im Nirgendwo verschwunden. Sie ist nur ein zusammengepresster kleiner Punkt in unseren Hirnen und gleichzeitig in allem, was uns umgibt. Und unser ganzes Leben lang suchen und ersehnen wir das Wort – die Gleichung – die Formel, die all das Chaos in uns endlich entfesseln kann. Damit wir wissen, dass wir uns nicht täuschen, keiner Halluzination unterliegen, nur um -ganz- in dieser anderen Welt zu erwachen und sie wenigstens einmal wach und konzentriert durchdringen zu können, nur damit wir einmal diesen Teil von uns wirklich begreifen können. Im Anfang war das Wort – heißt es. Und so sollte es auch am Ende stehen, nicht wahr?