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Gesicht.

Der Blick findet zögernd in den Spiegel, als hätte er diesen Weg lange nicht mehr genommen, aber dann verweilt er doch dort, einen ruhigen, langen Moment lang, und mustert, was er findet. Es sind dunkle Augen, die sich da selbst betrachten, ganz nüchtern und klar. Die Pupillen werden größer, versuchen jeden Lichtstrahl einzufangen, den die blanke Fläche zurückwirft, kriechen bedächtig von Merkmal zu Merkmal. Eine Nase ist da, mitten im Gesicht, etwas verbrannt von der Sonne. Sie wirft einen leisen Schatten auf eine Wange, dreht sich, der Schatten wechselt die Seite, nein, nichts verbirgt sich darin, nur Fleisch.
Auch ein Mund mit Zähnen. Lippen, kaum gespitzt und nur wenig rissig an den Rändern. Einen Augenblick lang üben sie scheinbar unbewusst Szenen, einen Kuss, den verbitterten Ausdruck des Abgeschlagen-Seins, noch eine Fratze der Boshaftigkeit und ein langsam auftauendes Lachen, das die kontrastierenden Augenbrauen mit einbezieht. Dann scheinen sie des Spieles müde zu sein, werden wieder nominell, normal, leer. Die Augen nehmen nur diesen Eindruck auf, streifen noch über die unwirschen Haare, suchen das Gesamtbild, finden es und verlieren es wieder.
Das Gesicht wirft noch keine Falten, oder etwa doch, es ist undeutlich, aber da sind schon Krater, wenn auch nicht die des Alters. Sie sind klein und scharfkantig, und nur im richtigen Licht kann man sie erkennen, nur im richtigen Licht und auch das nur manchmal; wenn man sie sieht, dann hinterlassen sie den Eindruck der Leere zwischen Industriehallen, ganz kalt und von einer schalen Dämmerung ausgeleuchtet. Manchmal scheinen sie wie eine Sinnestäuschung, als wäre da etwas Fremdes auf dem Spiegel. Die Hand findet zur Glasoberfläche, klopft dagegen, Staub löst sich, das Bild wird klarer.
Doch nein, die Krater bleiben. Nichts mehr zu retten. Aber wer könnte das schon von sich behaupten?
Ein Lächeln übermannt den Spiegel.