- bad_indicator - http://badindicator.de/blog -

Der Weg nach oben

Der Regen peitscht in dein Gesicht, tiefer noch, du fühlst, wie er durch dich hindurch geht, wie Nadeln durchstoßen die Tropfen Haut und Fleisch, prallen an den weiß hervortretenden Knochen ab, schleifen sie langsam, aber mit der Stetigkeit der Zeit herunter, ganz so wie sie es schon Bergen angetan haben, Kontinenten, Welten.
Ab und zu siehst du auf deine Hände, versuchst sie zu erkennen in den Wogen aus gläsernen Splittern, die von der Welt geblieben zu sein scheinen, versuchst das Weiß auszumachen, es gelingt dir nicht. Irrst du dich, irrst du in allem, du musst es wissen. Für einen Augenblick nur berühren sich deine Fingerspitzen und fühlen das Reiben der blanken Knochen, das Knirschen mißhandelter Gebeine, es ist also wahr.
Und dennoch, es gibt nur diesen Weg, nicht wahr, nur diesen einen Pfad, und so gehst du voran, beschleunigst deinen Schritt sogar etwas, du musst hinauf. Die Nadeln werden zu Nägeln, dann zu fast metallischen Splittern, verirrten Splittern einer herrenlose Granate vielleicht, in einem explosionslosen Rausch aus wütendem Glas. Du wirst wieder langsamer, so schnell geht es nicht, so schnell geht es nicht voran, es ist nicht möglich, aber zu langsam darfst du auch nicht werden. Das wäre das Ende, du festigt dein ursprüngliches Tempo, nein, das wäre das Ende, an dieser Stelle wie an jeder anderen waren unzählige schon zum Stehen gekommen, und dann hatten sie sich einfach niedergelegt und waren gestorben. Sie ruhten für ein Weile, einen kurzen Augenblick nur, und dann war es um sie geschehen, zu spät, zu spät. Niemand hat dir das gesagt, in keinem Buch hast du es gelesen, aber du erkennst es dennoch, es steht im Regen geschrieben, in jedem einzelnen Moment.
Ihre Überreste kannst du nicht erkennen, aber du weißt, sie waren, sie sind hier. Sie feuern dich an, weiterzugehen, Schritt um Schritt, nur nicht ruhen, immer weiter, auf die Spitze des Berges, mitten durch das Tal. Voran, voran, es gibt keine Rettung außer der in deinen Schritten. Aber nicht nur diese Stimmen hörst du, auch ist da die Stimme des Anderen, dessen Reich du betreten hast. Seinen mißgestalteten Körper durchschreitest du hier, es war dir klar, als du diesen Platz betratest, er gehört ganz und gar ihm, und mit allem Hass in seinen stählernen Eingeweiden versucht er nun, dich zurückzuwerfen, dich zu stoppen, deiner habhaft zu werden. Diese Stimme übertönt selbst das Rauschen des Wassers, auch die Stimmen der Toten am Wegesrand, wechselhaft ist sie, nur die spurhafte Boshaftigkeit bleibt ihr immer. Wenn sie spricht, verlässt auch dich der Mut manchmal für einen Moment, einige Male hättest du ihr fast nachgegeben. Einmal zitierte er die Bibel, einen bekannte Stelle über das Wandern in finsteren Tälern, fast zu spät erkanntest du die Korruptheit darin, die Kälte einer Rasierklinge, als die der Andere sich gerne sah. So hat er dich schon begrüßt, Eine Klinge bin ich wohl, hatte es durch die Ebene gedonnert, geschmiedet im Feuer der Angst, ein gröhlendes Lachen, dann hatte der Regen begonnen.
Nein, hier gab es keinen Herrn außer dem Anderen, keinen Stecken und keinen Stab, keinen Trost. Nur den düsteren Pfad, steil den Berg hinauf, den du mehr fühlst als siehst, vielleicht ist da nicht einmal ein Weg, deine Augen sehen kaum noch bis zum Boden hinab. Mehr Sicht lässt er dir nicht, nicht mehr als das millionenfach im Regen gebrochene Licht einer fahlen, fernen Sonne, die du hoch am Horizont erahnst. Manchmal stolperst du, schlägst fast auf den schlammigen Untergrund, kannst dich gerade noch fangen, ruderst einen Herzschlag lang hilflos mit den Armen. Dann lacht er, lacht lauthals, während du mit dem Gleichgewicht kämpfst und mühsam einen Fuß vor den anderen setzt, um ja nicht stehen zu bleiben. Aber es gelingt dir, wieder und wieder, und Wut strömt dann durch seine Stimme, spitzt die flüssigen Dolche noch ein wenig, Du bist mein, mein, mein.
Du schluckst den Schrecken herunter, verschließt dich seinem Brüllen oder versuchst es zumindest, Schritt um Schritt, die Bergspitze rückt näher, sie muss. Dort, über den Wolken, muss die Sonne nah sein und der Himmel klar, du bist dir sicher, und für einen Moment findest du im Geiste dorthin, atmest tief ein, fühlst die Wärme. Dann spürst du wieder das Peitschen des Regens, den Wind im Gesicht, die toten Stimmen im Boden und die schreiende über dir. Schritt um Schritt, es gibt nur diesen Weg. Du musst hinauf.