Dialog (1) – Vertrauen
Die beiden Lichtkegel bohrten sich tief in die pechschwarze Nacht, nur gebrochen durch Tropfen, die schwer und träge aus dunklen Wolken fielen. Räder, die endlos über wortkargen Asphalt rasten.
Wie kannst du so etwas sagen, sagte der Fahrer und blieb doch auf die Fahrbahn konzentriert, wie kannst du so etwas sagen, ich meine, woher nimmst du diese Sicherheit, und überhaupt, du bist doch noch so jung, so jung, das kannst du doch noch gar nicht beurteilen, das hat doch etwas mit Lebenserfahrung, mit Weisheit zu tun, oder nicht, also was soll diese pessimistische Sichtweise.
Er antwortete ruhig und konzentriert, aber nicht ohne einen gewissen Ausdruck der Verbitterung.
Es bin doch nicht ich, der diese Dinge erfindet. Es sind doch nicht meine Gene oder irgendwelche Sachen, die von mir ausgehen, es ist doch die Welt, die mir diese Dinge zeigt, ich spreche sie doch nur aus.
Nach einer Pause, in der die Gischt eines entgegenkommenden Fahrzeugs die Fahrt schwierig machte und die beiden einem sekundenlang brodelnden Schweigen überließ, entgegnete der andere.
Aber das ist doch verrückt, schau dich doch nur um, es gibt sicher auch schlechte Menschen, und- natürlich, natürlich – es passiert viel Scheiße in der Welt, aber es gibt doch auch gute Entwicklungen, schau dir doch nur allein die Möglichkeiten an, die heute jeder einzelne hat, bei Gott, nicht jeder nutzt sie richtig, aber die meisten doch schon, oder nicht, hey, im Prinzip kann doch jeder heute seinem Traum nachjagen, oder nicht, und seine Hände zitterten unsichtbar, als er mit einer Bewegung die Lichtkegel wieder ferner in die gähnende Leere vor ihnen schickte.
Welchen Träumen denn, fragte er, konnte kaum verhehlen, dass er seinem Fahrer gerne ins Wort gefallen wäre, welchen Träumen denn, sein Blick schien kurz aufzuflackern, der Punkt ist doch, welche verbindlichen Träumen gibt es denn noch, welche verbindlichen Ziele. Früher, ja früher, und er wusste, dass das abgedroschen klang, wie ein altes Filmzitat, ja früher gab es verbindliche Träume, Freiheit, oder Liebe, oder Freundschaft, aber wovon träumt man denn heute, wovon denn. Man träumt von einem kleinen bisschen Glück, man träumt davon, morgen nicht wieder nach der Arbeit auf die Fresse zu bekommen, man träumt davon, an den scharfen vielen Klippen des Lebens irgendwie halbwegs vorbeizukommen, man träumt davon, zumindest im System ein gutes, kleines Zahnrädchen abzugeben, das nennt man heute Träumen.
Er wartete kurz, nahm die Reaktion seines Fahrers auf, der scheinbar vollkommen in seiner Aufgabe aufging oder aufgehen wollte, dann sprach er weiter, beschwörend wie jemand, der seine Unschuld oder auch Schuld beteuerte, Träume setzen doch einen gewissen Idealismus voraus, den Willen zum Glauben an irgendwas, irgendwas, sagen wir, hmm, sagen wir zum Beispiel an den Menschen oder besser an das Gute im Menschen, ein Ideal der Aufklärung ist das, fügte er noch hinzu, dann drehte er den Kopf zu seinem Fahrer, und diesen Idealismus gibt es heute nicht mehr, also gibt es auch keine Träume mehr.
Wieso, widersprach er, dieses Ideal, wenn du dich auf dieses Beispiel festlegen willst, das gibt es doch noch, aber natürlich gibt es das noch, eine stakkatohafte Härte klang darin mit, ich sagte es schon, wie kannst du denn das so einfach sagen, du musst doch auf das Positive im Leben sehen, ich meine, wir waren doch gerade in diesem Etablissement, er wusste dass sein Passagier es immer so bezeichnete, in dieser Diskothek, klar, die Leute sind oberflächlich dort, größtenteils zumindest, aber grundsätzlich, die meisten Leute sind doch ganz nett, und überhaupt, wenn niemand mehr an das Gute im Menschen glauben würde, wie könnte dann so ein Ort existieren, an dem so viele Menschen sind, wie soll das denn gehen wenn jeder Angst hat, der andere könnte ihm gleich ein Messer in den Rücken rammen, wie denn, er hatte die Stimme erhoben und senkte sie jetzt wieder, als wäre er zufrieden mit sich selbst, blickte sogar einen Augenblick zu seinem Passagier hinüber, dessen Augen nachdenklich durch den Raum vor ihm glitten.
Einen längeren Moment sagten sie nichts, blickten nun beide nachdenklich auf die weißen Pfeiler, die an ihnen vorbeischossen, es schien, als schufen die Pfeiler allein den Weg, den sie befuhren.
Wenn das so ist, sagte der Passagier schließlich, wenn das so ist wie du sagst, warum bist du dann auf dem Rückweg, du erinnerst dich, auf dem Rückweg zum Auto auf die andere Straßenseite gewechselt, als uns andere Gäste entgegenkamen, und warum hast du dich dann ängstlich umgeguckt, als es in diesem Etablissement mal etwas lauter wurde, warum hast du jedem, denn du dort nur flüchtig kennst das gleiche erzählt, warum hast du dich auf das beschränkt, was alle tun, warum hast du gesagt Super geht es mir, obwohl du erst gestern wieder über deinen Rücken geklagt hast, warum hast du jedem die gleiche Frage gestellt, die Frage, du erinnerst dich, die Frage nach dem Befinden, und warum hat dir jeder diese Frage gestellt, warum. Warum hast du dein Glas nicht halbvoll abstellen wollen in diesem Etablissement, als du aufs Abort gingst, warum musste ich mit dem Glas in der Hand dort auf deine Rückkehr warten, warum hast du mich und das Glas so prüfend angesehen, als du wieder kamst, seine Stimme war leise, aber eindrucksvoll, warum hast du einer deiner ehemaligen Freundinnen ein Kompliment gemacht und einige Minuten später weniger schicklich über sie geredet, warum, der Blicks des Fahrers duckte sich tief in die Markierungen auf der Fahrbahn, warum.
Erst die Stille ließ wieder die Geschwindigkeit fühlen, mit der sie über die Markierungen schossen, und beide erschraken, er nahm den Fuß von einem der Pedale.
Sein Passagier blickte ihn an, der sanfte Blick eines Gefängnispfarrers, der auf ein Bekenntnis wartet, er wartete einige Sekunden, dann sprach er weiter.
Soll ich dir sagen warum, warum das alles so ist, du weißt es doch genauso gut wie ich, also warum leugnest du es, wir kennen die Wahrheit.
Jeder verrät jeden, so ist das. Jeder hat Angst vor jedem. Selbst vor sich selbst haben die Menschen Angst. Und warum, nun, weil sie es begriffen haben, sie haben hinter das Ideal geblickt, wissen dass es nicht wahr ist, sie wollen keine Opfer mehr sein, und deshalb wird jeder zum Täter. Er hatte wieder die Art von Verbitterung erreicht, mit der er zu sprechen begonnen hatte, hinter diesem oberflächlichen Lächeln, hinter diesen offenen und freundlichen Augen verborgen liegt ein Hass, ein unbändiger Hass auf alles und jeden, und eine Angst, eine Angst vor allem und jeden, beides versteckt sich hinter diesen Augen. Und deshalb handelst du und der Rest dieser ganzen Menschen so, ihr stellt euch immer die gleichen Fragen und gebt immer die gleichen Antworten um ja nie verwundbar zu werden, um niemals den vielen Wölfen um euch herum eine Chance zu geben, um euch zu schützen handelt ihr so, er lehnte sich tief zurück in das schwarze Kunstleder wie ein Anwalt, der gerade sein Plädoyer hielt, und ihr lästert und tratscht und macht euch über andere lustig weil ihr euch in Wirklichkeit hasst, ihr hasst euch selbst und ihr hasst auch jeden anderen.
„Du bist doch verrückt!“, sagte sein Fahrer, ein letzter verzweifelter Ausruf. Dann war das Gespräch beendet, und sie schwiegen eine lange Zeit.
„Der Tod der Harmonie macht euch
zu Krüppeln dieser Zeit
Es werden Meinungen zu Mörderminen
jeder Mensch zu Stacheldraht
und andern zu Helfen wird Hochverrat“
Thomas D. – Auf dem Planeten des ewigen Regens.
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