Grüne Augen (3)
Das bläuliche Leuchten des Bildschirms verlieh seinen Gesichtszügen eine besondere, blasse Strenge, eine Straffheit, die ihm das Alter eigentlich schon genommen hatte.
Er blickte herab von dem Monitor, nahm die Brille ab, die er sich vor Jahren hatte kaufen müssen, rieb sich leicht gerötete Augen.
Die Uhr an der Wand zeigte 00:30, er konnte eine kleine Pause machen, entschied er, ohne den Gedanken an sein Projekt, wie man im Jargon seines Berufsstandes sagte, vollkommen zu verdrängen.
Dennoch, mit einer gewissen Ruhe, die er sich nun gestattete, sah er auf seine flimmernden Konstruktionszeichnungen, griff dann blind zu der Tasse, die wie immer präzise an ihrem Platz stand, trank einen Schluck.
Die Zeichnung auf dem Bildschirm, sofern andere Menschen sie als Zeichnung bezeichnen würden, bestand aus klaren Linien, Knotenpunkten, Symbolen, die Informationen über Statik lieferten, über Kabelkanäle und Wasserleitungen.
Für andere wäre sie sicher nur schwer zu entziffern, aber für ihn war sie klar und einsichtig. Auch seine Frau würde sie wohl kaum durchschauen, er hatte sich nie die Mühe gemacht, ihr von seinem Beruf zu erzählen, sah keinen Sinn darin. Sie musste nichts darüber wissen, ihre Funktion, ihre Aufgabe war eine andere.
Er lehnte sich ein wenig zurück, das weiche Leder gab nach. Um diese Uhrzeit war immer alleine hier, die anderen waren schon lange gegangen, das war gut so.
Ein Teil von ihnen machte die Arbeit recht gut, auch wenn er es war, der mit den komplexeren Problemen betraut wurde. Doch die meisten Mitarbeiter waren ihm fremd oder fremd geworden, sie mochten – zufällig – etwas von der Arbeit verstehen, aber ihre Haltung gefiel ihm nicht. Sie verstanden nicht viel von den Regeln und Strukturen, die so wichtig für das menschliche Zusammenleben waren, sie waren unstet und manchmal wie die alten Freunde aus Studienzeiten, vergnügungssüchtig, laut und inkonsequent.
Zwar ließen sie ihn in Ruhe, mieden ihn gar, doch dennoch war er lieber alleine hier. Und so arbeitete er oft spät in der Nacht, wenn diese anderen Menschen den Beschäftigungen nachgingen, denen er nichts abgewann, suchten ihr Glück in der Zerstreuung.
Solche Angestellten waren ein unhaltbarer Zustand in seinen Augen, aber seine Proteste hatten nichts geändert an der „Einstellungspolitik“ des Unternehmens, wie sich der Personalchef ausgedrückt hatte.
Seit diese andere Frau in sein Leben getreten war hatte er sich bemüht, den anderen Angestellten mit etwas mehr Nachsicht und Güte gegenüber zu treten, schließlich hatte auch er ja Fehler gemacht. Doch hatte er aus ihnen gelernt, während diese Wilden gar nicht daran dachten, sich ebenso strengen Maximen und Regeln unterzuordnen wie er selbst, und so hatte er diese Nachsicht wieder verworfen.
Ein Bild der Ehefrau stand auf dem Tisch, er betrachtete es einige Sekunden lang, trank noch etwas Kaffee.
Ja, es war ein Fehler gewesen, dieser Frau gegenüber hatte er eine Pflicht verletzt, sogar einige Male. Aber das würde nicht wieder geschehen. Er hatte sich gebraucht, diese Nächte mit der anderen Frau, seine Gedanken fanden zurück zu diesen Stunden, ohne das er sich dessen erwehren konnte. Ihre süßen Worte, ihre sanften grünen Augen, er hat sie vielleicht wirklich gebraucht, ja, auch wenn er wusste, das es nicht richtig gewesen war. Das entschuldigte nichts, doch auch lag all das hinter ihm, er würde ihr nie wieder zuhören, sie nie wieder so ansehen.
Er stellte den Becher wieder ab, streifte dabei die gerahmte Fotografie der Ehefrau, etwas Kaffee floß auf den Schreibtisch.
Einige Sekunden lang starrte er auf den schwarzen Fleck. Dann stand er verärgert auf, holte ein Tuch, entfernte den Kaffee von der makellosen Oberfläche. Schließlich schob er die Fotografie ein wenig weiter nach hinten, neben den stumm leuchtenden Bildschirm, betrachtete die neue Ordnung kritisch.
Ein seltsam drängendes Gefühl der Schuld berührte ihn plötzlich. Nein, er musste sein Vergehen büßen, entschied er. Der Ehefrau konnte er nicht offenbaren, was er getan hatte, nein, das würde ihr Kummer bereiten, und ob schon sie nicht immer seinen Ansprüchen genügte, war sie doch immer noch eine gute Ehefrau. Nein, sie musste in dieser Welt aus seinen Regeln bleiben, durfte nie den Glauben an sie – und ihn – verlieren. Das gebot schon die Nächstenliebe, dachte er etwas zufrieden; ohnehin, was geschehen war lag in der Vergangenheit, es gab keinen Grund, sie damit zu behelligen.
Aber er konnte, er musste etwas anderes tun.
Sorgsam sicherte er seine Entwürfe, damit sie nicht verloren gingen. Den Becher wusch er aus, stellte ihn vorsichtiger als sonst an dem ihm bestimmten Platz.
Dann griff er zum Telefon, wählte eine ihm wohlbekannte Nummer. Nannte den Namen eines Hotels vor der Stadt, eine Uhrzeit.
Er musste einen Schlußstrich ziehen unter diese ‚Angelegenheit‘, wenn es auch nur ein symbolischer sein würde. Das würde ihn reinwaschen.
Doch sie würde nicht einfach so mit ihm reden wollen, natürlich nicht. Seine Hände griffen nach dem Inhalt seiner ordentlich sortierten Schreibtischschublade, zogen ein Bündel glatter, gebügelter Geldscheine heraus, steckten sie ein.
So etwas würde ihm nie wieder geschehen, versicherte er dem warnenden Tonfall seiner eigenen Gedanken, und auch deshalb würde er heute Nacht einen Schlußstrich ziehen.
Er nahm seinen Mantel, verließ das Büro und fuhr los.
Das der Schatten einer alten Frau zwischen den Bäumen der Allee beobachtete, wie er in den Wagen stieg, entging ihm.
–
Gegen 08:30 Uhr erwachte er in einem Hotelzimmer, die Augen auf die Zeiger des Weckers gerichtet, neben ihm eine junge Frau. Ohne zu zögern zog er sich an, verbat sich dabei jeden Gedanken an die letzte Nacht und an sein Versagen, legte einige abgezählte Scheine auf den Nachttisch und verließ das Hotel, ohne die schlafende Person noch eines Blickes zu würdigen.
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