Hermetisch
Er spielte seine Rolle, routiniert, ein schelmisches Lächeln auf den trockenen Lippen, ungelenke, künstliche Bewegungen, ein unablässiges Sprudeln von Scherzen und Anzüglichkeiten, er spielte seine Rolle, und die Menschen lachten im Kanon, ein vielstimmiges Brüllen und Juchzen wie Artilleriesalven.
Seine Hände flogen durch die Luft, zeichneten Bilder, verstärkten Reaktionen, die Hände eines Komponisten, der ein großes Orchester dirigierte, ein Orchester aus Lachen und Prusten, hinten das tiefe Gröhlen bärtiger Marineoffiziere, weiter vorne das hellere Kichern von jungen Sanitäterinnen.
Als er noch auf den anderen, großen Bühnen gespielt hatte, da hatte ihn auch dieses Lachen manchmal erfreut, selbst wenn es eigentlich der Applaus war, der ihn als Schauspieler getrieben hatte.
Es hatte sich verändert, schon vor langer Zeit, manchmal dachte er zurück an diese Zeit, an die Zeit vor der Rezession, vor dem Krieg, in manchen Augenblicken dachte er sogar hier auf einer Bühne daran.
Er sprach weiter, immer weiter, persiflierte Engländer, Franzosen, die eigene Luftwaffe, es war seine Aufgabe, die Menschen etwas abzulenken, seine und nur seine Last, oft musste er sich daran erinnern, wenn er in die vielen so verschiedenen Gesichter vor sich blickte, manche grob und von der Front gezeichnet, andere fein, aber dennoch blaß, ja, es war seine Aufgabe, diesen Augen für einen kurzen Moment etwas zu schenken, dass sie ansonsten schon lange verloren hatten.
Er stockte bei diesem Gedanken, machte eine unwillkürliche Pause, schon wieder, erschrak er sich, während er die Hoffnungslosigkeit in den Augen seiner Zuschauer abwog, noch einmal und noch einmal, so als ob es dafür ein präzises Maß gäbe.
Er zwang seine Gefühle zurück, zurück in sein Inneres, seine Stimme hob sich wieder, zunächst etwas brüchig, aber schnell wieder erstarkend, eine kleine Floskel nur, um der Pause ihre Dramatik zu nehmen, er schob sie russischen Kollaborateuren in die Schuhe, einige Sätze aus dem Standard-Repertoire, er grinste wieder krumm, wieder Lachen, sein Redefluß fand zurück auf die Bühne.
Nein, all diese Gedanken, sie mussten dort drinnen bleiben, so tief begraben wie nur möglich, außen durfte nur dieses krumme Lächeln zu sehen sein, nur dieser eine Wesenszug, diese eine Rolle.
Natürlich hatte auch er damals nicht an die Front gewollt, wer hätte das schon gewollt, aber er war naiv gewesen damals, vielleicht wäre es besser so gewesen, auch wenn er wusste, dass er den Menschen gut diente in seiner jetzigen Funktion.
Damals hatte er natürlich ohne Zögern zugesagt, als man ihm anbot, seinen ‚Beitrag‘ hier zu leisten, er hatte nicht an die Front gewollt – niemand hatte das – und sein Theater hatte man wegen der Bomben geschlossen.
Vielleicht war es für ihn persönlich die falsche Entscheidung gewesen, konstatierte er und sah zu, wie Agonie und Gelächter in den Augen seiner Zuhörer miteinander rangen.
Es entbehrte nicht einer gewissen komischen Tragik, als moderner Clown musste er das wohl eingestehen; er hatte in der Tat nie die Front gesehen, dafür aber hatte er zu oft gesehen, was die Front zurückließ, wenn er in den vielen Feldlazaretten auftrat, sie ließ immer nur Zerstörung und Tod, Leichen, die man eiligst beiseite geschafft hatte, die eigenen wie die anderen, Hunderte oder gar Tausende manchmal an einem Orte, inzwischen mussten es Millionen sein, Millionen.
Davon wussten die meisten Menschen nichts, die Presse verschwieg es, aber sie alle hatte eine Ahnung, ein unbestimmtes Gefühl, dass das Ende kommen würde, und, so bekräftigte er sich, genau aus diesem Grund stand er noch hier und spielte seine Rolle, immer seine Rolle, alles andere blieb tief verborgen.
Die Führung sprach immer noch vom Sieg, nur noch hohle Propaganda natürlich, durch die vielen Besuche an verschiedenen Orten hatte er sich ein viel zu gutes Bild machen können, es ging auf das Unvermeidliche zu, bald würde alles zusammenbrechen.
Er kam wieder ins Stocken, diesmal aber hatte er es erwartet und fing die peinliche Stille schnell ab, drehte sie in eine Pointe um, festigte seine Stimme und redete weiter, das gleiche Lächeln auf den trockenen Lippen.
Manchmal erschien es ihm immer noch unfair, wie er hier oben vor allen stand und sie alle zum Narren hielt, obwohl er doch genauer als jeder andere wusste, wie es stand, und zunächst hatte er sich auch versetzen lassen wollen, als er die Brisanz der Lage begriff, doch er hatte einfach nicht aufhören können, er ihnen nicht das auch noch das letzte Stück Leben, das letzte Lachen rauben wollen, auch wenn selbst das schal und ausgemergelt klang an Tagen wie diesen. Natürlich, er könnte aufhören sie zu belügen, ihnen eine Welt vorzuspielen, die nichts mit der Bitterkeit der Realität zu tun hatte, aber was brachte ihnen die Wahrheit schon? Das Ende würde kommen, keiner von ihnen konnte das ändern, ob sie es nun wussten oder nicht, und so spielte er immer noch seine Rolle, stiftete Lachen, wo die Hoffnung schon starb, auch wenn das für ihn bedeutete, all die ungeheuerlichen Dinge für sich zu behalten, nur für sich, sie einzuschließen und zu vergraben, es musste sein, niemand sonst konnte diesen letzten Beitrag leisten.
Seine Schlußnummer kam, endlich, und er legte eine Pause ein, bewusst diesmal, wie er es immer tat seit einiger Zeit, er zählte die Sekunden, blickte in die Runde, verunsicherte Gesichter, aus einem Traum vom Lachen und Leben unsanft geweckt, fast angsterfüllt.
Nein, keiner dieser Menschen wollte wissen, was er wusste, sie bettelten nach Hoffnung, selbst wenn Hoffnung nur ein Lachen bedeutete, dachte er, seine Lächeln taute wieder auf, drei letzte Sätze, der Raum gröhlte wieder, etwas unsicher, aber umso lauter, er trat von der Bühne, immer noch das schiefe Lächeln im Gesicht, alles andere musste tief vergraben bleiben, abgesichert und verschlossen wie in einem Panzerschrank, hermetisch abgeriegelt.
„Das Vergnügen kann auf der Illusion beruhen, doch das Glück beruht allein auf der Wahrheit.“ – Nicolas-Sébastien de Chamfort.
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