Die Psyche des Raumes (4)
Vladimir Sowmeschenjik, Verlorene Wahrheit, Kapitel 2, Seite 44
Über die Psyche und den Raum
[…]Und so erging es auch dem Raum, die physikalische Revolution des 19. Jahrhunderts walzte ihn schier eben so platt wie zuvor schon die Zeit. Das mechanistische Weltbild, eine Meisterleistung der Differenzierung, der Zerlegung und Trennung des Ganzheitlichen, eben der kalten Analyse des Göttlichen, erklärte selbst den Raum zu einem Gefangenen der Physik, eingesperrt in Naturgesetzen, zu ewiger, fast schon christlich anmutender Dreifaltigkeit in Ziffern, in x, y und z verdammt. Der Raum sei gleichförmig flach, breite sich in alle Richtungen gleichermaßen aus, sei lediglich der Träger, die Bühne, das Medium, auf dem der Welten‘ Dinge sich bewegten.
Nun, schnell war der Zauber dieser unheiligen Fraktalisierung des Ganzen verflogen, und selbst der Physiker musste sich eingestehen, dass das Göttliche nicht zwischen den Dingen zu suchen war, dass es viel komplizierter war als jene Formeln .
Und mit dem Glauben an das universelle Chronometer oder dem chronometrischen Universum schwand auch die maskenhafte Starre des Raumes und der Zeit – so zumindest in der Physik Einsteins.
Doch aus einem Grund, den wir nicht genau benennen können, hält sich auch immer noch die Überzeugung, der Raum sei eben so flach, wie es das alte mechanistische Weltbild diktierte.
Dabei ist es doch so augenscheinlich, dass der Raum sich ständig stülpt, sich verändert, nicht in einem physikalischen, sondern in einem psychologisch-spirituellen Sinne.
Betrachten wir so zum Beispiel die Fahrt in einem Auto auf einer schnellen Straße, sagen wir, auf einem amerikanischen Highway. Wir steigen ein und fahren los, und augenblicklich scheint sich die Welt selbst, besser der Raum selbst, um uns zu krümmen. Denn was nun außen ist, verschwimmt unter dem Eindruck der Geschwindigkeit, mit der wir uns bewegen, und demnach wird sich der Effekt verstärken, je schneller wir fahren. Und wer erinnert sich nicht an Momente des Schocks oder des Erstaunens, in denen plötzlich ein im Vergleich zum gigantischen Universum winziges Ereignis aufgebläht wird, so dass es uns zu umschließen scheint, und genau das scheint mir auch die Wahrheit zu sein.
Wie ich schon einmal schrieb, sehe ich mich selbst nicht als Propheten oder als Philosophen, sondern als einen Naturwissenschaftler der Subjektivität.
Psychologen mögen sagen, es sei nicht der Raum, der sich um das Subjekt krümme, sondern viel mehr das Subjekt, dass seine Wahrnehmung krümme.
Doch das ist nicht die ganze Wahrheit – geht die moderne Wissenschaft doch immer noch zu großen Teilen von der Existenz eines objektiven Beobachters aus, absurd angesichts der Offensichtlichkeit von so unmöglich objektivierbaren Geschehnissen. Denn wer will von sich sagen, er sehe „den“ Raum jetzt gerade flach, er habe den objektiven Überblick über das Geschehen, die objektive Sicht des Raumes? Es scheint offensichtlich, dass nur das Göttliche selbst, das Universum selbst dazu im Stande ist, warum also bei dem alten Modell bleiben?
Werfen wir es über Bord, wenden wir uns dem Realen zu, wenden wir uns dem gekrümmten Raum zu. Besehen wir uns da zum Beispiel ein Subjekt, dass in einen Zug steigt, in eine abgedunkelte Kabine und dort die Fahrt über verweilt.
Am Ende der Reise wird das Subjekt sich fühlen, als sei es nicht gereist, verständlich angesichts der Tatsache, dass für das Subjekt der Raum zwischen Start- und Zielbahnhof ja gar nicht existent ist, da er auch nicht wahrgenommen wurde. Aus der Perspektive der Subjektivität, in der ich mich in diesem Buch üben möchte, scheint es, als ob der Raum um den Zug sich verändert hätte, zu etwas wurde, was man in der Physik vielleicht ein Wurmloch nennen würde, auch wenn dies ein psychologisches Phänomen ist, kein physikalisches.[…]
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