Die Asche in deinen Augen
Mein Liebes, du weißt, dein Blick ist etwas trübe, er hat etwas Gelangweiltes, Müdes, Mürbes, Zersetztes oder Zersetzendes, aber er fesselt mich dennoch, lässt mich niemals los, hält mich stetig fest.
Weder kann ich mich dagegen wehren, noch kann ich mir dieses Mysterium erklären, der Grund bleibt oft unsichtbar für mich, doch ich habe eine Ahnung, eine gewisse Idee, ich muss sie dir darlegen, ich kann nicht anders, sie beschäftigt mich stetig und ist zu einer großen Last geworden.
Bitte lach nicht über mich, doch ich denke, es die Asche in deinen Augen, die mich so gefangenhält, die Asche in und hinter deinen Augen, ich weiß, das klingt merkwürdig, wie könnte es auch nicht, natürlich klingt es absurd, aber denke deshalb nicht schlecht von mir, es ist mein voller und aufrichtiger Ernst, wenn ich dir das sage, du hast Asche in deinen Augen, Asche.
Eine weitere Erklärung muss ich dir wohl schuldig bleiben, ich kann nur beschreiben, was ich sehe, und ich sehe nun einmal Asche, Asche hinter deinen Augen.
Oft erinnere ich mich an Tage, an denen die Asche sich ein Stück hervorschiebt aus ihrem geheimen Versteck, ein endloser Strom wie von einem Vulkan ausgestoßen, weder Tränen noch Stofftücher können sie vertreiben.
Ich sehe dich so vor mir, dicke runde Tropfen rinnen deine Wangen hinab und du weißt, du weißt, dass auch sie nicht helfen können. Ich glaube, du hast oft darüber nachgedacht, die Asche mit einer Gabel oder einem Messer herauszubrechen, doch nur dein Augenlicht würdest du dabei verlieren, glaube es mir, es wären nur deine Augen, die du zerstören könntest, die Asche würde bleiben und leise über dich kichern.
Aus einem Grund, den ich dir nicht nennen kann noch will, ist es diese Asche, die mich so fesselt, die deine Augen so faszinierend verschleiert, etwa so, wie eine dunkle Wolke, die vor den Sternen liegt.
Ich sehe dich so vor mir, während ich hier sitze und diesen Brief schreibe, der dich wohl nie erreichen wird oder aber schon erreicht hat, so sehe ich dich vor mir, und ich bemühe mich wirklich, genau zu beschreiben, was ich dabei fühle, obwohl ich weiß, wie merkwürdig, wie makaber das Ganze ist.
Die Asche, ich denke die Asche ist nicht ekelerregend in einem pathologischen Sinne, nein, sie besteht nicht aus den verbrannten Überresten von Holz oder Fleisch, du riechst ja auch nicht nach Asche, – was für ein absurder Gedanke, nicht wahr – nein, sie ist von ganz und gar anderer Gestalt als gewöhnliche Asche.
Je länger ich dich so vor mir sehe, im Geiste, desto klarer wird es mir, es sind verbrannte Träume, die da leise in deinen Augen schwelen, es sind Dinge, die man mit dir getan hat oder die du getan hast, die sich da kalt und schweigend verstecken, allesamt verbrannt und vermischt zu eben dieser Asche, von der ich spreche und die ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme.
Sicher, auch du bist es, der für sie verantwortlich ist, es ist auch deine Schuld, aber so ganz möchte ich das nicht glauben, dein Leiden schmerzt mich zu sehr. Verzeih mir – und halte nicht für brutal, du kennst mich ja – , aber wenn ich erkennen könnte, wessen Asche es ist, wer sie hinter deine Augen geblasen hat, ich würde ihn finden und verbrennen, all sein Fleisch und Blut zu ebensolcher Asche verbrennen wie der in deinem Blick, bis nichts mehr von ihm bliebe außer einem Häufchen Schmutz, ich würde sie alle finden und verbrennen.
Doch ich kann es nicht erkennen, das scheint mir ebenso eine zynische Wendung wie auch eine bedeutende Eigenschaft von Asche zu sein; sie macht unkenntlich, wer oder was sie einmal war, zurück bleibt nur der amorphe Stoff, er lässt keine Rückschlüsse mehr zu, verschweigt seinen Ursprung.
Aus der Asche entsteht wieder Leben, so sagen die Menschen. Ich weiß nicht, ob das die Wahrheit ist, ich kann es auch nicht beurteilen, aber vielleicht, vielleicht ist es ja wahr, und wenn ich so darüber nachdenke, dann erscheint es mir plausibel, denn ich kann mich gut erinnern; manchmal, selten, doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit, da sitzt du so vor mir, mit deiner Asche in den Augen, all den verbrannten Wünschen und Verwünschungen, und so etwas wie ein Luftzug geht durch sie hindurch, geht durch deinen ganzen Körper und dann durch deine Augen, und für einen kurzen Moment leuchtet die Asche hell auf. Vielleicht ist doch noch etwas Leben darin, ich weiß es nicht, wie könnte ich auch, vielleicht ist es auch weniger ein Luftzug als ein Funke, ein kleiner Funke, der die Asche wieder aufglimmen lässt, für einen Augenblick.
In solchen Momenten tropft manchmal etwas von der Asche auf den Boden oder auf ein Blatt Papier, ganz so, als wollte sie sich mit ihrem Ursprung wieder vereinen, fließend, fliehend, wie eine Flüssigkeit, die eine Höhe herabrinnt. Doch nicht nur aus deinen Augen fließt die Asche, sie flieht auch durch deinen Mund, in manchen kurzen Momenten sogar wie ein tief schäumender Strom, Tausende Wort fließen dann aus deinem Mund, tiefdunkel mit Asche bedeckt, ich kann es so direkt vor mir sehen.
Ich kann dir nicht sagen, ob das ein Weg der Heilung ist, ich weiß es nicht, kann es auch nicht beurteilen, vielleicht kann das niemand, vielleicht kannst du es nur selber.
Doch wenn ich dich dann so sehe ist mir, als ob die Schleier in deinen Augen dünner werden würden, als ob die Asche zögern würde, ganz so, als ob ihre Präsenz abnehmen würde, aber ich bin mir nicht sicher, ich könnte es nicht versprechen oder gar beschwören, es ist nur mein Eindruck, eben meine Empfindung.
Ich hoffe, du vergibst mir diesen Brief, ich weiß, er hat etwas sehr Seltsames, fast schon Verrücktes, ich weiß das, doch ich musste es dir schreiben, vielleicht kann ich nun wieder etwas besser schlafen. Das mag selbstsüchtig klingen, in meinen Ohren klingt es so, aber glaub mir, gäbe es einen Weg, ich würde gern deine Asche hinter meinen Augen tragen, ich verspreche es dir.
Du magst über diesen Brief lachen oder ihn nicht einmal bis zum Ende studieren, doch ich kann nicht zurücknehmen, was in ihm steht, es ist die Wahrheit, ich bestehe darauf:
Du hast Asche in deinen Augen, Du.
Oder Ich?
„And he says:
‚I swear I’m not the devil,
Though you think I am,
I swear I’m not the devil.‘ “ – Staind
Hi Christoph,
Ich hab mir viele der Texte durchgelesen und die meisten gefallen mir recht gut. Besonders Rotation I hat mir gefallen.
Hab übrigens nun auch nen eignen Blog.
Tien