Zwecklos
Die Logik belügt dich, die Wissenschaft betrügt dich. Es gibt keine Lösungen, keine Wahr-Falsch-Schemata; Denk darüber nach, woher all der Hunger kommt; denk darüber nach, warum manche prassen und andere verrecken, und geh daran zugrunde. Versuch, den einfachsten Konflikt zu lösen, und scheitere. Wende die Theorien an, die du kennst, dann denk dir neue aus, bete meinetwegen, es wird nichts ändern. Denk dir eine andere Welt, eine andere Ordnung, vielleicht eine, in der Richtig und Falsch wirklich verschiedene Dinge sind, und dann verlier‘ dich in deinen Phantastereien oder lass sie an der Wirklichkeit zerschellen. Selbst das ist egal, mach dir nicht vor, es gäbe da einen Unterschied; du wirst daran scheitern, ob du es versuchst oder nicht. Denn am Ende stehst du immer vor der Wand; vor der Wand.
Sie ist überall und in jedem Ding. Du musst nur eine Weile nachdenken, den schmalen Pfaden folgen, von A nach B, von B nach C, und irgendwann wirst du sie vor dir sehen. Sie könnte hinter dem C lauern, aber auch hinter dem A; Richtungen sind ihr gleich, sie zeigt sich, wo es ihr passt. Sie braucht auch keine Gründe, sie interessiert sich nicht dafür, was A, B oder C für Plätze sind. Nein, ihr reicht es, zu sein, an einer jeden Ecke deines kleinen Universum zu stehen, meter-, kilometerhoch, breit wie ein ganzer Kontinent.
Du kommst dir klein vor, wenn du vor ihr stehst. Ganz klein, wie etwas, dass man vergessen hat, dessen Auslöschung man versäumt hat, vielleicht sogar absichtlich. Ja, man hat dich absichtlich hier stehenlassen mit deinen stumpfen Versuchen, die Welt vor deinen Augen mit der dahinter in Einklang zu bringen, mit den einfachen, mit den dummen Lösungen: Es ist der sichtbare Triumph, der Triumph des Unausweichlichen, der Triumph der Wand.
Ihre Siegesgeschrei ist lautlos, aber es ist da; sie schwankt nicht, aber in ihrem Inneren tanzt etwas, tanzt jedes Mal, wenn du vor ihr stehst. Du wirst sie nicht bezwingen, niemand kann das. Man kann sie ignorieren; ja, das geht. Menschen, die das tun, sind wie der Pantomime, der eine imaginäre Scheibe putzt, nur umgekehrt. Ihre Schritte durch die Wand sind imaginär, aber das darf man nicht sehen; deshalb nennen sie es auch Ideologie oder – perfider – Wahrheit.
Wenn du aufrichtig bleiben willst, wirst du die Wand anstarren müssen. Wirst nicht daran vorbeisehen können. Natürlich ist auch das kein Rezept; auch das wird niemandem helfen, am wenigsten dir selbst.
Millionen Wege sind da in deinem Kopf,
An ihrem Ende jedoch sind sie
alle gleich.
Vielleicht ist es eine gute Idee, mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen. Immer und immer wieder. Die meisten Menschen halten das natürlich für dumm und naiv, was ich durchaus verstehen kann. Denn es scheint von Grund auf eine destruktive Idee zu sein, die uns selbst mehr schaden zufügt als der Wand, welche es zu bekämpfen gilt. Außerdem werden wir die Wand mit einer so simplen Methode auch nicht ins Schwanken oder gar zu Fall bringen. Doch trotzdem habe ich das Gefühl es könnte eine gute Idee sein.
Obwohl es zwecklos zu sein scheint, wenn mein Kopf gegen die unerschütterliche und übermächtige Wand knallt, ist es nicht so, dass sich dadurch nichts ändern würde. Ich werde sicher ein paar blaue Flecken bekommen und Blutflecken auf der Wand hinterlassen. Wenn ich schon vor der Wand stehen muss, dann will ich doch wenigstens Spuren hinterlassen. Einen Schmerzensschrei ausstoßen, auch wenn ihn niemand hört. Machen diese Flecken die Wand nun noch größer oder doch kleiner? Weniger bombastisch und beeindruckend? Oder gar noch beängstigender? Doch das ist im Grunde nicht einmal die wesentlichste Veränderung, die ich bewirken würde. Im Prinzip geht es weniger darum was mein Kopf der Wand antut als darum was die Wand meinem Kopf antut. Ich will nicht einfach vor dieser Wand stehen bleiben oder an ihr vorübergehen oder gar so tun als würde ich durch sie hindurchgehen. Spuren auf der Wand zu hinterlassen ist die eine Sache. Da könnte ich auch einfach meine Stifte herausholen und Worte auf die Wand schreiben. Oder ein kleines Messer nehmen und die Wand an einigen Stellen zerkratzen. Doch im Grunde will ich mehr als nur eine Spur zu hinterlassen auf dieser, meiner eigenen Mauer. In letzter Konsequenz will ich vielleicht sogar an ihr zerschellen. Zumindest ein Teil von mir zerschellt, wenn ich meinen Kopf gegen die Wand schmettere. Und der Kopf ist ja kein unwesentlicher Teil meiner selbst. Mein Kopf wird bluten und die Wunden werden niemals verheilen.
Es geht nicht darum, dass andere Menschen die Narben sehen sollen. Die meisten Menschen übersehen derartige Narben wie sie auch die Wand selbst übersehen. Es verändert nun einmal doch etwas wenn mein Kopf auf die Wand trifft. Und wenn diese Tat die Wand vielleicht auch nicht verändert, so verändert sie doch immerhin meinen Kopf.