Die Suche nach dem Sinn Diesen Artikel drucken

Ich sitze in dem Wagen; der Mond verbirgt sich hinter Wolken, und so ist es fast ganz dunkel. Die Scheinwerfer schneiden einen Tunnel in die Nacht, aber darauf achte ich nicht. Ich muss nicht steuern; der andere tut es. Es ist auch der andere, der traurig ist.
Meine eigenen Gedanken huschen hinüber zu den Lichtern, die wir passieren. Sie sind alle von der gleichen Farbe, und schemenhaft erkenne ich die seltsame trübe Anwesenheit der Industrieanlagen dazwischen. Es fällt mir leicht, mich dort hinzudenken, zwischen die Hallen und Schornsteine und die anderen namenlosen Strukturen. Ich sehe die Lichter, weit entfernt, aber ich denke mir auch die einzelnen Lampen, ihre sture Funktionalität, das Surren der Röhren, die müde Art, wie das Licht, kaum ausgesandt, von stummen Wänden und bizarren Ecken verschluckt wird, wie es sich an Kanten der Quader und Würfel und Kegel streut und dabei vergisst, woher es stammt.
Und es ist seltsam; tagsüber, so denke ich es mir, ist der Ort sicher belebt. Man stellt dort etwas her, oder man nimmt etwas und macht daraus etwas anderes. Oder man füllt etwas ab, packt etwas ein, vielleicht reißt man auch etwas aus dem Boden, um es zu verkaufen; ich weiß es nicht, und das ist schon seltsam genug. Tagsüber hat dieser Ort sicher einen Zweck, seinen Sinn, und jedermann kann ihn erkennen: Dieses Gebäude da ist für diesen oder jenen Zwecke vorgesehen, und die Ecke dort hinten, deren Sinn ist soundso, und so weiter und so fort, bis alles klar und nichts übrig ist. Die Menschen, die dort arbeiten, könnten es sicher erklären, mir erklären und auch jedem anderen. Ich müsste sogar nur dabei zusehen, wie die Arbeiter dort schaffen, und schnell würde es sich mir erschließen.
Nachts aber, da ist es anders; die Gebäude, die sich zwischen den fernen Lichtern ducken, liegen stumm und still da. Selbst wenn ich da wäre, ihren Zweck würden sie nicht verraten. Ich könnte es aufzeichnen; Buch darüber führen, welches der Gebäude wo steht, wie aussieht. Wie groß die Hallen sind, wie hoch die Dächer. Aber der Zweck, der Sinn, der bliebe verloren. Was am Tage Zwecken und Bedeutungen gehorcht, von dem bleibt in der Nacht nur die matte Reflexion der neutralen Beleuchtung, und die zufällig wirkende Anordnung der Lichtmasten verrät erst recht nichts über das Warum und das Wozu.

Ein Gedanke schleicht sich ein; Der Gedanke, dass nur wir es sind, die den Dingen Bedeutung und Sinn geben, und dass davon abgesehen nichts und niemand Bedeutung hat. Dass deshalb die Frage nach dem Warum immer leer bleiben muss. Tagsüber mögen wir uns darüber hinwegtäuschen; solange wir uns auf die Tätigkeiten besinnen können, bleibt es unsichtbar. Aber wenn sich die Dunkelheit über uns senkt und wir Zeit haben, Zeit um nachzudenken, dann bleibt von alldem nur die seltsam verstreute Halbwelt der sinnbefreiten Hüllen.

Und dann denke ich wieder an dich. Du bist weiter entfernt, als ich jemals reisen könnte, sogar weiter entfernt als der andere. Wir werden uns nicht wiedersehen: Ich weiß das, und deshalb ist er wohl traurig. Und immer wieder und wieder stelle ich mir die Frage, die nach dem Wozu, dem echten Warum: Nicht nach dem Warum der Physiker und Rationalisten, sondern nach dem, auf das es ankommt für uns Menschen.
Noch lange nach den Griechen glaubten selbst die Gebildeten, dass beide Frage dieselbe Antwort haben: Dass der Sinn in der Welt ebenso zu finden ist wie die Ursache. Manchmal möchte ich glauben, dass es nur eine Laune der Kulturen war, die uns heute anders denken lässt. Aber vielleicht ist es wirklich so, wie es die still vorbeifliegenden Lichter suggerieren: Es war einfach naiv, es war dumm zu glauben, es fände sich so etwas wie eine Bedeutung in der Welt. Alles, was geschieht, geschieht einfach nur so. Die einzelnen entstellten Elemente der Fabrik liegen einfach nur so in der Nacht; sie verfolgen keinen Zweck, sie sind nur, weil es eben so ist. Und ich muss dich vermissen, weil die Würfel nun einmal so gefallen sind und nicht anders: nicht, damit ich etwas lerne, nicht, damit du an andere Orte gelangst, die dir eher gefallen werden, auch nicht, um irgendeine Art von Prophezeiung zu erfüllen, eine Strafe abzuleisten oder ein Urteil zu vollstrecken, sondern nur aufgrund der Unerbittlichkeit von grauer Kausalität.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert