Kategorie 'Zukünftiges/Mögliches'

Mögliche Zukunft und zukünftige Möglichkeiten.

Shrapnel Flakes

Diesen Artikel drucken 23. Juni 2007

Dieser Regen.
Sein Blick schweifte über die Dächer.
Dieser verdammte Regen.
Das Wasser fiel schwer auf die Betonflächen, sammelte sich in kleinen Mulden und kroch schließlich gelangweilt in die Drainagerohre. Er hasste diesen Regen, nicht unbedingt, weil er nicht nass werden sollte. Aber er fand das gerade diese Art von Regen der wunderschönen Einheit aus Glas, Keramik und Aluminium ein schmutziges, überaltertes Aussehen gab. Er griff hinter sich, zog einen Gegenstand hervor, legte ihn vorsichtig auf den Tisch. Normaler Regen war schön, ein Schauer auf dem Land etwa, aber dieser, dieser Regen hatte etwas Schmuddeliges, Herausgewürgtes, etwas, dass Erinnerungen heraufbeschwor. Er wusste nicht genau, woran, vielleicht an alte Gangsterfilme. Ja, vielleicht war das der Grund für sein Unbehagen. Mit einer sicheren Bewegung griff er zwischen den Tablettenschachteln hindurch, fand nicht, was er gesucht hatte, stand von seinem Schreibtisch auf, kehrte mit einer Flasche Öl zurück. Noch einmal blickte er aus dem Fenster. Der Regen war immer noch da, der Wind hatte kurz gedreht. Milchige Tropfen klebten an der Scheibe und weigerten sich noch, der Schwerkraft nachzugeben.
Er schüttelte verächtlich den Kopf und klopfte zweimal auf der Halfter, das er auf den Tisch gelegt hatte. Wenn man dem Hersteller Glauben schenken durfte, entriegelte sich das Holster in weniger als eine Hunderstel Sekunde und schob in einer weiteren Hunderstel die Waffe so hervor, dass sie dem Schützen -hoffentlich – direkt in die Handfläche schnellte. Aber so ganz hatte er das nie geglaubt; ihm kam es viel langsamer vor. Außerdem verursachte das Aufschnappen dieser Halfter ein unüberhörbares Surren, weil sowohl der Verriegelungsmechanismus als auch der Griff kurzzeitig die Schallmauer durchbrachen (aber auch das nur eine Behauptung des Herstellers). Nichts davon gefiel ihm, aber andere Holster waren teuer, und außerdem verpflichtete ihn sein Arbeitsvertrag dazu, nur solche zu tragen. Es seien ‚Sicherheitshalfter‘, hatte sein Boss gesagt. Er hatte nur gefragt, für wen sie sicher seien – für ihn oder für einen Angreifer – aber darauf hatte er keine Antwort bekommen.
Er arbeitete in einem On-Demand-Store, also in einem Geschäft, das die Alten heute noch als Supermarkt bezeichneten. Über Supermärkte wusste er nur das, was seine Mutter ihm darüber erzählt hatte, und was er von ihr gehört hatte, das schien ihm vollkommen unvernünftig und eben auch überhaupt nicht vergleichbar mit seinem On-Demand-Store.
Im Wesentlichen saß er den ganzen Tag vor einem PC, hinter einer vier Zentimetern starken Schutzglasscheibe, die sowohl alle möglichen Arten von Projektilen als auch die meisten handelsüblichen Sprengstoffe abhalten sollte, aber auch das war nur eine Angabe aus einem Handbuch, in das niemand besonders großes Vertrauen setzte. Er saß also hinter dieser Scheibe, und wenn ein Kunde kam, dann musste er zunächst auf einen Knopf drücken, damit der Alarm nicht losging. Der Kunde konnte ihm dann über eine Gegensprechanlage seine Bestellung nennen oder sie direkt über einen Scanner einlesen lassen; die Kette gab drei Prozent Rabatt auf letzteres, seit man festgestellt hatte, dass sich die Eskalationswahrscheinlichkeit signifikant erhöhte, wenn Kunde und Transaktionsagent zu viele Worte wechselten; und in diesem Business ging es immer um Eskalationswahrscheinlichkeiten. Hatte der Kunde seine Bestellung aufgegeben, dann ging der Transaktionsagent nach hinten ins Lager, um die Waren zusammenzusuchen. Währenddessen musste der Kunde ganz ruhig stehenbleiben, sonst ging wieder der Alarm los. Wenn alles gut lief und die Kreditkarte des Kunden gedeckt war, dann schob er die Ware durch ein kompliziertes System von verschiebbaren Wänden in den Vorraum, wo der Kunde sie entnehmen konnte. Leider lief es nicht immer gut.
Er zog die Waffe aus dem Holster, entfernte das Magazin, zog den Lauf nach hinten. Die letzte Patronen fand ihren Weg durch den Auswurfschlitz, flog durch den Raum und rollte unter den Tisch. Routiniert tränkte er einen Lappen mit dem Öl und begann, die Waffe auseinanderzubauen.
Sein Vertrag schrieb vor, die Waffe wöchentlich zu reinigen, aber er macht es täglich, fand es entspannend. Er hätte die Pistole auch im Dunkeln zusammensetzen können, und so überließ er allein seinen Händen diese Tätigkeit, während er hinunter auf die Straße blickte. Es waren nur wenige Menschen unterwegs, und diese wenigen trugen schwere Regencapes oder kleine Schirme. Alle hielten respektvollen Abstand voneinander, aber das war nur natürlich, sie kannten sich nicht, also konnten sie auch nicht wissen, was die anderen im Sinn hatten. Nur ein breiter, glatzköpfiger Mann patrouillierte ungerührt im Muskelshirt die Straße entlang, das Wasser perlte von seinem kahlen Schädel. In der Armbeuge trug er weithin sichtbar die Replik einer alten Magnum, wahrscheinlich eine dieser aufgemotzten Automatikknarren, die Keramik verschossen. Der Glatzkopf hatte sicher zwei Monatsgehälter dafür bezahlt, und jetzt führte er sie spazieren. Es war nicht verboten, die Waffe so zu tragen, im Gegenteil; nach den jüngsten Schießereien war es an Universitäten und Schule sogar verboten, die Waffen nichtoffen zu tragen. Trotzdem mochte er den Glatzkopf nicht, er wusste nicht, warum. Natürlich waren auch die meisten anderen Leute auf der Straße bewaffnet; manchmal verrieten sie sich durch Beulen in der Kleidung, wo keine sein dürften, und ein alter Herr, der kurz seinen Sichtbereich kreuzte, hatte entweder ein Holzbein oder trug eine Automatik an der Wade. Vielleicht ärgerte ihn auch nur, dass er sich eine solche Waffe nicht leisten konnte. Von Zeit zu Zeit stritten sich Leute im Fernsehen darüber, was diese Entwicklung ausgelöst hatte. Vor einigen Tagen erst hatte er wieder zufällig eine Dokumentation darüber gesehen. Ein Soziologe im feinen Anzug hatte dort gesagt, es sei der Terrorismus gewesen, ein anderer hatte ihm entschieden widersprochen, es sei vielmehr die globale Angst gewesen.
Letzteres fand er irgendwie einleuchtender, auch wenn ihn die Diskussion nicht wirklich interessierte. Außerdem waren diese feinen Herren letztlich in gewisser Weise auch nur Politiker, genau wie alle Menschen im Fernsehen irgendwie Politiker waren – und denen traute man nicht. Die Sache war einfach – es gab viele böse Menschen mit Waffen, also mussten sich die Guten auch bewaffnen und hoffen, dass sie nie einen Schuß abgeben mussten. Das war die vorherrschende Meinung (u.A. auch die seines Bosses) und er teilte sie größtenteils.
Er war in der Phase des Umbruchs aufgewachsen, und dem zu Folge hatte er viele Erinnerungen an jene Zeit, wenn auch verschwommene. Manchmal dachte er, die Probleme hätten eigentlich erst begonnen, als Cornflakes plötzlich BULLET POPS oder SHRAPNEL FLAKES hießen und man Büstenhaltern Namen wie FLYING BETTY (das war, so wusste er, ein alter Landminentyp) gab. Natürlich hatte es immer schon Waffen gegeben, auch Waffennarren. Aber an einem gewissen Punkt in seiner Kindheit hatte sich etwas verändert; plötzlich schaffte sich jeder eine an. Auf einmal gab es Waffenkunde als Unterrichtsfach an staatlichen Schulen. Kinder, wie er damals eins gewesen war, freuten sich plötzlich nicht mehr auf üppige Geldschenke zur Kommunion, sondern auf die erste eigene Schußwaffe. Aber natürlich existierten die eigentlichen Probleme schon viel früher, die Gewalt, die Kriminalität, der Terrorismus, alles andere war nur eine Reaktion darauf gewesen. Die ‚Zivile Wehrhaftigkeit‘ (so nannten es die Nachrichtensprecher respektvoll) war ja erst danach entstanden, als eine Art der Lösung. Trotzdem dachte er manchmal, das hätte die Probleme erst verursacht, auch wenn es verrückt war. Genauso verrückt wie das unsichere Leben, das frühere Generationen geführt hatten. Natürlich hatten diese Leute auch weniger Angst gehabt, aber wer nicht sah, konnte sich auch nicht fürchten. Nun sahen die Menschen – und füchteten sich. Auch das war nur natürlich; außerdem konnte man ja etwas tun gegen die Angst.
Er sah kurz auf die Waffe herunter, musterte den Lauf gewissenhaft und befand das Ergebnis für gelungen, baute sie wieder zusammen. Gott Sei Dank hatte er sie nie außerhalb der Schießstandes abfeuern müssen (den musste er ebenfalls einmal in der Woche aufsuchen, aber darum drückte er sich, wenn er konnte). Es würde auch nicht viel Sinn machen, damit auf die Sicherheitsscheibe im Laden zu schießen; zwar gab es Scheiben, die nur eine Seite schützten, aber solche waren teuer, und sein Boss weigerte sich, sie einbauen zu lassen.
Dafür hatten sie wie die meisten Geschäfte natürlich computergesteuerte Systeme im Vorraum, die mit dem Alarm verbunden waren. Vor einigen Monaten hatte ein Typ im Anzug bei ihm ein halbes Pfund Brot kaufen wollen, was schon an sich verrückt genug war. Nur war der Mann, wie sich später herausstellte, vollkommen zugedröhnt gewesen (seine Mutter nannte solche Typen Junkies, aber der Begriff war aus der Mode gekommen, seit synthetisches Crack billiger war als sauberes Trinkwasser) und bestand darauf, mit einem Winchester-Replikat zu bezahlen, das sicher teuer gewesen war. Natürlich hatte er als gewissenhafter Angestellter (und vor allem aufgrund seines Mißtrauens in Bezug auf die Scheibe) sofort den Roten Knopf gedrückt. Der Alarm war mehrstufig, er hatte das schon bei seiner Sicherheitseinführung kennengelernt. Zunächst sagte eine Stimme aus den Deckenlautsprechern nur, man solle sich hinlegen und die Hände hinter den Kopf nehmen, sonst würden weitere Maßnahmen eingeleitet werden. Die zweite Warnung wies einen eindrücklich darauf hin, dass dem Folge zu leisten sei – die dritte war bei der Beschreibung dieser Maßnahmen schon so deutlich, dass er sich oft gefragt hatte, ob das zur Entspannung wirklich noch beitrug. Aber vermutlich war es an dem Punkt sowieso schon zu spät. Jeder, wirklich jeder wusste, was nach der vierten passierte, und wer sich nach der dritten noch nicht hinlegte, der war entweder todessehnsüchtig oder einfach verrückt. Was der Typ im Anzug gewesen war, hatte er nicht erfahren. In jedem Fall hatte er sich nicht hingelegt. Aber was sollte er sagen, er hatte einen Tag freibekommen und war Mitarbeiter des Monats geworden. Das heißt, zunächst war sein Boss regelrecht wütend gewesen, dass jemand soviel Papierkram verursachte (wegen eines halben Pfundes Brot), aber da er ja nicht im mindestens dafür verantwortlich war (das zeigten auch die Videoaufnahmen), war das schnell wieder verflogen, vor allem, da sich die Schäden am Inventar in Grenzen hielten.
Er sah auf die Uhr, während er eine Tablette gegen die Kopfschmerzen einwarf, die vermutlich von dem neuen Valiumderivat herrührten, das er sich besorgt hat; er warf die Schachtel verächtlich durch den Raum, sie prallte an der Wand ab und fiel zielgenau in den Papierkorb.
Jetzt musste er also doch noch raus, um neue Tabletten zu besorgen. Das ärgerte ihn, aber es war wohl nicht zu ändern. Er erhob sich seufzend aus dem Stuhl, nachdem er die Waffe wieder ins Holster gesteckt hatte, um das gekippte Fenster wieder zu schließen. Draußen regnete es weit weniger stark, aber die Straße machte immer noch einen schmutzigen Eindruck. Unten ging immer noch der Glatzkopf auf und ab, und der stärker werdende Strom an Passanten drängte sich unsicher an ihm vorbei. Seine Hände fanden zum Fensterriegel und zögerten. Er betrachtete die Menschen auf der Straße, ein verhärmtes Grinsen drängte sich in sein Gesicht. Dann schlug er das Fenster mit soviel Wucht zu, dass die rahmenlose Scheibe mit einem lauten Krachen in seine Aufhängung schlug.
Auf der Straße duckten sich die Passanten, einer fiel hin, mindestens fünf andere griffen in ihre Jacken, soweit er es erkennen konnte. Selbst der Glatzkopf zuckte ein wenig zusammen und griff zum Holster.
Er lächelte diabolisch und wollte sich wieder setzen, als der Glatzkopf zu ihm hochblickte und finster anstarrte; er hob die Hand in seine Richtung, machte mit Zeigefinger und Daumen eine eindeutige Geste.
Er grinste schief, zeigte dem Glatzkopf den Finger. Seine Hand zitterte ganz leicht, dann drehte er sich vom Fenster weg.
Tabletten. Er brauchte neue Tabletten. Bedächtig griff er nach seiner Jacke und zog sie an, während er zur Tür ging.
Einen Moment lang blieb er stehen, dann lachte er bellend über sich selbst. Wie konnte er das vergessen? Er ging zurück zum Tisch, nahm das Holster und steckte es wieder ein.

89 Bilder

Diesen Artikel drucken 5. Juni 2007

Ein kleiner Baum hatte das Inferno überstanden, stellte er lakonisch fest und betrachtete ihn durchdringend. Viel war nicht von ihm geblieben, von den meisten seiner Äste war nur noch Asche übrig, und selbst an der dem Hang abgewandten Seite hatten seine Arme eine kohlefarbene Schicht bekommen.
Er ging einige Schritte auf ihn zu, ließ sich dabei Zeit, atmete die ozonhaltige, schale Luft langsam ein und aus. Gut möglich, dass der Baum genau an der Grenze von Zone 2 gestanden hatte, zumindest stand er genau an dem Hang, der sie seiner Erinnerung nach begrenzen sollte. Seine Kamera surrte einige Male leise, als er einige Fotos machte.
Er berührte den Stamm des Baumes sanft, und einige Zentimeter Rinde lösten sich unter seinen Fingern ab, wurden vom Wind davon getragen. Erstaunlich, dieser Baum, kein anderer hier oben hatte es überstanden. Ein ganzer Wald war hier einmal gewesen, so hatte er es auf den Bildern gesehen, und ausgerechnet dieser hatte überlebt.

Er drehte sich um, nachdem er noch einige Aufnahmen des Kraterrandes gemacht hatte. Es würde natürlich wieder ein Unfall gewesen sein, was auch sonst. Nicht alle Leute in der Heimat würden das glauben, auch das war nur natürlich, aber selten wagte jemand, dies offen zu sagen, und wenn es doch jemand tat, dann sicher nicht für lange. Aber das waren nicht seine Belange; er machte nur diese Aufnahmen und schrieb die Artikel, wie er angewiesen wurde. Natürlich waren es nie Unfälle, obschon dies denkbar wäre, denn die Kraftwerke der meisten Städte funktionierten wohl in ähnlicher Weise wie die Waffen, die man hier verwendete; wie sie genau funktionierten, wussten nur wenige Menschen, auch er war darüber nie informiert worden. Er setzte die Kamera ab, legte den Trageriemen wieder um seinen Hals, blickte dem Abgrund entgegen.
Weit im Norden, irgendwo in der Zone Null, konnte man noch Rauch sehen, das Gestein dort würde über Wochen glühen. Seiner Beobachtung, die er selbstverständlich für sich behielt, schien den Einschlägen oft vulkanische Aktivität zu folgen, aber er war kein Experte auf diesem Gebiet. Man sagte ihm nicht viel, und das war gut so; je weniger er wusste, desto weniger konnte er zu einer Gefahr werden. Ihn scherte zwar nicht, was hier geschehen war, aber allzu wurden Mitglieder des Journalistenkorps oder der Armee auf einen bloßen Verdacht hin weggebracht.
Nun, viele von ihnen mochten sicher Geheimnisverräter sein, aber er war keiner. Ihm war natürlich klar, was hier geschehen war, selbst wenn es ihm niemand offen sagte und er die schweren Schiffe über der Oberfläche nie gesehen hatte. Aber es ging ihn nicht an, und er kannte keinen der Menschen, die hier vor kurzer Zeit noch gelebt hatten. In anderen Zeiten hatte es ähnliche Ereignisse gegeben, als Massenmorde oder Vernichtungskriege hatte man sie bezeichnet; nun, da war nur eine gewisse Ähnlichkeit, denn es gab einen fundamentalen Unterschied zwischen diesen historischen Fakten und dem, was hier geschehen war, so dachte er zumindest.
Denn eigentlich starb hier niemand, kein einziger Siedler. Es war viel einfacher, er hatte es gesehen;
Die Granaten schlugen lautlos auf, nachdem sie eine Hyperbel-Bahn vom Himmel herab beschrieben hatten, detonierten – meist – in den Stadtzentren, und dann war da nur ein helles Leuchten, das einen leicht für immer blenden konnte.
Und wenn man den Blick wieder hob, war da nichts mehr. Gebäude, Straßen, Menschen, Beweise, alles wurde in nur einem Augenblick davongeweht wie Nebel vom Wind. Es blieben nur diese schwelenden Krater, die er von Zeit zu Zeit fotografierte, um danach von den Unfällen zu berichten.
Nein, eigentlich starb hier niemand, in einem Moment lebten diese Menschen ihr Leben, im nächsten waren sie und alles, was an sie erinnerte, fort, verschlungen von weißem Feuer.

Er erinnerte sich noch gut an die erste Kriegswelle, oder den ersten Befreiungsfeldzug, wie man es heute nennen musste. Damals hatte es noch echtes Sterben gegeben, jahrelang, er war damals noch neu beim Korps gewesen und war oft auf den stinkenden, verstrahlten Schlachtfeldern gewesen, wenn auch nur ganz hinten. Doch dann hatten sie begonnen, die neuen Granaten zu verwenden, und seitdem hatte das Sterben aufgehört.
Genau wie noch in heutiger Zeit hatte man ihn damals immer häufiger in sein Büro in der Hauptstadt geschickt, um dort alleine die Artikel fertigzustellen. So war es schon lange; anfangs war das Kriegsgebiet noch so nah gewesen, dass er, hätte er aus dem Fenster gesehen, Nachbarstädte mit einem stummen Blitz hätte vergehen sehen können, während er an Berichten über die neuen Golfanlagen auf Kuba schrieb. Doch das hatte sich mit den neuen Waffen schnell geändert, und der Krieg war schließlich auf unbedeutende Welten wie diese hier gekommen, ohne dass er genauen Grund dafür gekannt hätte.

Er hörte ein leises Geräusch hinter sich, dass er kaum registriert hätte, wenn die beiden Soldaten der Eskorte vor ihm nicht fast zeitgleich einen ebenso disziplinierten wie dumpfen Befehl ausgestossen hätten. Es blieb keine Zeit, die Situation einzuschätzen, die Lage zu überblicken und rational zu entscheiden, was zu tun war, während die beiden ihre Waffen hoben; doch die Konditionierung seiner Ausbildung funktionierte und griff ein wie ein unsichtbarer Marionettenspieler. In einer kaum wahrzunehmenden Geschwindigkeit drehte sich der Fotograf über die linke Schulter weg, um hinter sich blicken zu können, während er sich flach fallen ließ. Eine schützende Hand griff dabei scheinbar unbewusst nach der Kamera, seine Finger fanden den Auslöser blind.

Dann lag er im Staub, alles war vorbei, alles, und einer seiner Bewacher half ihm mit dem emotionslosen Gesicht eines Frontsoldaten wieder auf.

Was davor geschehen war, das hatte, so konnte er sich später immer wieder und wieder versichern, kaum mehr als eine halbe Sekunde gedauert, und so hatte sein Gehirn, das mit dem Anwenden seiner Ausbildung beschäftigt gewesen war, kaum mehr registriert als Schmemen und Schüsse. Aber auch das war nicht wichtig; er konnte die Szene später auch ohne Erinnerung begreifen, war dazu gezwungen, verdammt.
Ein Junge, kaum älter als acht oder neun, vielleicht auch zehn, hatte sich unterhalb des verbrannten Baumes versteckt, in einer Spalte im Hang, oder vielleicht auch in einem Baumstumpf, er fand es nie heraus. Der Junge musste heraufgeklettert sein, als er sich bereits vom Abhang entfernt hatte, und so hatten er und die Eskorte ihn erst bemerkt, als er über einen Stein gestolpert war, so war es zumindest zu vermuten.

Er bot ein gräßliches Bild; die rechte Seite seines Körpers schien verbrannt oder viel mehr geschmolzen zu sein, denn man konnte noch Reste seiner hellen Kleidung erkennen, die scheinbar mit der verkohlten Haut verklebt war. Auch sein Kopf schien verzerrt, die Haare fehlten, und der Mund besaß eine blaßrote und eine fast teerschwarze Seite, die seltsam herabhing und zusammen mit dem blinden rechten Auge den Eindruck eines furchterregend grinsenden Zwinkerns schuf.
Das Kind war einfach stehengeblieben, als man es bemerkt hatte, ganz naiv. Vielleicht hatte es Hilfe erwartet, vielleicht war der Junge auch schon gänzlich von Sinnen gewesen, in jedem Fall war er einfach so stehengeblieben, etwas schwankend, und hatte die Männer angeblickt, die ihm gegenüber standen.

Die Schüsse trafen ihn in die Brust, zweimal, ein dritter traf die ohnehin zerstörte Schulter. Der Aufprall war so schwer, dass der Junge einige Meter nach hinten geworfen wurde, auf den Boden schlug und den tiefen Abhang hinabrutschte; sein Mund öffnete sich dabei. Vielleicht hatte er geschrien, der Journalist wusste es nicht, würde es nie wissen, auch wenn er Tage damit verbringen würde, darüber nachzudenken.
All das hatte der Fotograf gesehen, in dieser halben Sekunde, aber natürlich konnte er sich an kaum etwas davon genau erinnern, es war zu schnell geschehen. Es war ein wenig wie ein Albtraum, den man vergessen hatte; nur der Grundriss blieb übrig, wenn man ihn nicht nach dem Aufwachen aufschrieb, und so wünschte er sich oft, es gäbe nur diesen Grundriss in seinen Erinnerungen, aber so war es nun einmal nicht.
Er hatte diesen Albtraum aufgeschrieben und somit bewahrt, für alle Zeiten; wie er erst auf dem Rückweg in die Hauptstadt bemerke, hatte er im Sturz 89 Bilder gemacht, 89 Aufnahmen, die die gesamte Szene und all das Geschehene genau eingefangen hatten.
Er hätte sie löschen können, ohne sie anzusehen, denn ihm war nach einem kurzen Blick auf die Anzeige klar gewesen, wann er sie gemacht hatte. Dann er hatte sie doch durchgesehen, und danach dachte er nie wieder ernstlich daran, sie zu löschen.

Einige Nächte nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt verbrachte er nur damit, die 89 Bilder anzusehen, jedes Detail aufzusaugen, um mit dem Jungen abschließen zu können. Aber so sehr er es auch wünschte, der Albtraum blieb in den Fotos eingefroren.
Einige weitere Nächte lang dachte er darüber nach, sie zu veröffentlichen, um sich von diesem Gewicht, diesem Gesicht zu befreien. Doch auch diese Nächte ließen ihn nicht handeln; die Konsequenzen waren ebenso klar wie erschreckend, man würde ihn hängen und die Bilder vernichten, und so siegte sein Überlebenswille.
Doch auch das milderte das Gewicht der Bilder nicht, und so versanken seine Nächte bald in Alkohol, bis er eines Morgens mit dem eigenen Revolver in der Hand erwachte. Er gab ihn weg und trank nie wieder.
Schließlich verbrachte er seine Nächte wieder an seinem Schreibtisch und schrieb seine Berichte, wie man sie ihm auftrug. Er schlief nur noch wenig und wenn, dann nur am Tage. Die Bilder blieben in seinem Schreibtisch verschlossen, zweifach gesichert auf einem Speichermedium, daneben einige sorgsam verborgene Papierausdrucke, wie man sie heute nur noch selten sah. Er betrachtete sie jeden Tag; über die Krater schrieb er nie wieder.

Der Alte am Strand

Diesen Artikel drucken 17. Februar 2007

Nienhagen/Rostock, Strand Der alte Mann ging den Strand entlang, wie immer, was hatte er auch sonst noch zu tun.
Das war ein Klischee, er wusste das, aber es störte ihn nicht, im Gegenteil. Sogar Klischees waren in seiner Zeit etwas Wertvolles.
Seine Kleidung war kaum abgewetzt, wenn auch schlicht und von einem leichten Grauschleier bedeckt, bei diesem Licht; einen Beobachter aus früheren Tagen hätte das wohl irritiert, doch die synthetischen Fasern der Wohlfahrt ließen keinen Verschleiß mehr zu, wurden weder schmutzig noch alt. Und so schien es, als ob es die zu weite Hose war, die den dürren alten Körper des Mannes trug und nicht umgekehrt; auch das wusste er, aber er scherte sich nicht darum, denn es schien ihm passend; in gewisser Weise stimmte das sicher auch.
Wurde er müde vom Laufen, dann setzte er sich auf einen Stein in der Nähe des Wassers und ruhte eine Weile aus, während er auf das grau-blaue Meer starrte und einen Proteinriegel der Wohlfahrt zu sich nahm, ohne den penetrant-künstlichen Geschmack sichtbar zu registrieren. Mehr hatte er nicht zu tun; mehr gab es nicht. Mehr als dieser Strand war von der Welt nicht mehr übrig geblieben.
Manchmal dachte er wahrscheinlich auch diesen Gedanken, aber dann hätte er wohl gelacht oder zumindest gelächelt, denn auch das schien ihm klischeehaft.
Außerdem stimmte es nicht; ‚das‘ Meer, ‚der‘ Strand, diese Kategorien hatten nicht einmal in seiner Kindheit wirklich existiert.
Was er heute so bezeichnete, dass war ein kiesiger Sandstreifen voller toter Muschelskelette; ab und an musste er aufpassen, nicht in irgendeine Flüssigkeit zu treten, die in einer verätzten Mulde vor sich hin trocknete, und wenn er einmal eine übersah, begannen seine Schuhe schimpfend zu dampfen.
Das Meer war dagegen wieder besser geworden; offensichtlich hatten die Menschen einen Weg gefunden, es zu reinigen, aber darüber wusste er nichts Genaues, nur dass das Grau im Wasser in den letzten beiden Jahren abgenommen hatte. Manchmal fand er jetzt sogar einen toten Fisch, wenn er so den Strand abging. Sie sahen alle gleich aus, hatten sogar alle die gleiche Maserung; er hatte ein Bild von einem gezeichnet, um sie vergleichen zu können. Wahrscheinlich stammten sie aus einem Labor, vermutete er.
Davon abgesehen war es schön an seinem Strand; so schön, dass ab und zu sogar Ausflügler kamen, wie man sie früher genannt hatte. Sie liefen dann auf dem Kies umher, einige Stunden zumindest, manche badeten sogar in hauchdünnen Anzügen. Der alte Mann hatte nichts gegen sie, manchmal sprach er einige Worte mit ihnen; er war oft wochenlang allein unterwegs und glaubte, das ein wenig Austausch nicht schaden konnte. Doch diese Begegnungen blieben ihm selten im Gedächtnis. Einmal hatte er ein Pärchen getroffen, dass ihm von den großen Restaurationsprojekten im Norden erzählt hatte. Die Küste würde viel schöner werden, hatten sie gesagt, viel schöner sogar als sie früher war. Das würde sie nicht weniger künstlich wirken lassen, hatte er zufrieden gedacht, es aber nicht ausgesprochen; es war ihm im Prinzip gleich, und vielleicht würden die ganz Jungen einen neuen, verbesserten Strand auch ganz authentisch finden – falls er sie überhaupt noch interessieren würde. Nie fragte ihn jemand, wo er herkäme, aber auch das war ihm ganz lieb. Er hätte die Frage ohnehin nicht beantworten können; eine Heimatstadt gab es schon lange nicht mehr, eigentlich für niemanden, es gab nur noch die Städte, durch die man einmal gereist war, und es hätte ihn und die Touristen entschieden zu lange aufgehalten, dass zu erklären.
Und doch, der Stadt seiner Geburt zollte er immer noch einen gewissen Respekt, wenn auch indirekt. Seine Musikauswahl beschränkte sich ausschließlich auf schwere, alte, elektronische Tracks, schlecht synthetisiert von dem Wohlfahrtsplayer.
Zum einen lieferte ihm dass einen beruhigenden Kontrast zu den Momenten, in denen die Sonne fast klar durch die gelben Wolken fiel und beinahe eine Idylle schuf. Aber auch erinnerte ihn diese Musik an seine Geburtsstadt oder besser, was er dafür hielt; der Ort war im Laufe der Jahre mit anderen Orten zu der riesigen Textur aus Lagerhallen, Industriekomplexen und neon-gelb leuchtenden Roboterfabriken verschmolzen, die man heute nur noch selten Westeuropa nannte. Aber eigentlich dachte er auch nicht viel an diesen Ort, der sich auf so seltsame Art und Weise aufgelöst hatte. Überhaupt dachte er nicht viel; Einige Stunden des Tages schlief er, einige ging er, ein paar Minuten verschwendete er an die Proteinriegel. Den Rest der Zeit starrte er auf seine Füße und die Wellen. Wenn es dunkel wurde, schlief er wieder, das warme Klima und die Wohlfahrtskleidung machten es ihm bequem.
Das einzig Unfunktionale seiner wenigen Habseligkeiten war ein Foto, dass er stets in der linken Hand hielt, zu einer gelangweilten, drucklosen Faust geballt. Aber er sah nur selten darauf, ihm genügte das Wissen, es bei sich zu tragen. Es war aus einem alten Material, dass man inzwischen vermutlich lange verboten hatte, denn es alterte und ließ sich vermutlich kaum recyclen. Er war ein wirklich alter Mann, aber selbst er wusste nicht, wie man das Material nannte; ein Fremder hatte ihn einmal danach gefragt und vorgeschlagen, es zu einer modernen Holografie restaurieren zu lassen, denn das Bild war an den Rändern schon ganz eingerissen und teils unkenntlich. Die Sonne hatte die Farben blass werden lassen, und von der abgebildeten Person war nur noch ein blau-grauer Umriss zu erkennen. Die kostenlose Holografie aber hatte er abgelehnt, nicht weil er nicht verstand, sondern weil ihm das alternde Bild gefiel.
Der Fremde hatte erwidert, dass man ja nicht einmal mehr die Augenfarbe seiner Frau erkennen könne. Blau hatte der alte Mann geantwortet, ohne zu zögern, dann hatte er hinzugesetzt, sie sei nicht seine Frau. Dann war er einfach gegangen.
Und es stimmte wohl, er erinnerte sich genau, auch wenn das Foto nach dieser langen Zeit nur noch zwei blasse graue Pupillen zeigte, sie waren blau gewesen, blau. Nicht das Blau des Himmels seiner Kindheit, dass ihm immer scharf und klar erschienen war. Auch nicht das Blau des großen Ozeans, weder die tiefe, schwere Farbe der alten Aufnahmen noch der warnende Graustich der Gegenwart. Es war das helle, ganz und gar vorsichtig strahlende Blau-Grün einer fernen Bucht, bevor Menschen sie betreten hatten. Ein Blau, in dem kleine Wellen auf- und abrollten, miteinander spielten, einander im Spaß jagten, umeinander tanzten. Kein Blau, dass man leicht fand, weder hier noch irgendwo.
Selbst das Foto hatte sie irgendwann vergessen, diese Farbe, und so blieb nur noch der Alte, der von ihr wusste, wenn auch nicht viel mehr.
Einmal, nur ein einziges Mal hatte einer der seltenen Besucher gefragt, wen das Foto ursprünglich gezeigt hatte. Da war so etwas wie Verlegenheit über sein faltiges, freundliches Gesicht gehuscht, eine seltene Emotion.
Auch das hatte ihm die Zeit genommen, er erinnerte sich nicht mehr; vielleicht war er ihr nur flüchtig begegnet, vor Jahrzehnten, vielleicht hatte er sie auch gut gekannt, eine lange Zeit mit ihr verbracht, er wusste es nicht genau.
Das hätte er erklären können, aber auch das hätte ihn wohl zu lange aufgehalten, und so hatte er es nicht erwähnt, nur einige Sekunden gezögert, die Antwort überdacht.
Ein anderes Leben, hatte er dann gesagt, eine andere Welt, dann war der unsichere Ausdruck in seinem Gesicht wieder gewichen. Die Frau hatte ihm noch einen der ekelhaften Riegel geschenkt, er hatte sich höflich bedankt und war weitergegangen. Seine Augen hatten sich wieder starr an die Wellen geheftet. Und die ferne Verwandtschaft zu der Farbe in seinen Erinnerungen gesucht.

Albtraum

Diesen Artikel drucken 5. Mai 2006

Von einer besseren Welt. Ein blauer Himmel, viel größer als die verschlafene Ebene unter ihm, ein riesiges schimmerndes Dach für die Erde, blauer als blau, ein Zelt von der Farbe eines lang erstrittenen Friedens, klar und nur wenig ermattet. Das rot-blond eines fortdauernden Sonnenaufgangs an jedem Horizont und in jeder Himmelsrichtung zugleich, die feinfühlige Wärme des anbrechenden Tages in sich tragend wie eine frohe Botschaft.
In der Ebene aus hohen, friedvollen Gräsern und anschmiegsamen Bäumen eine seltsame Kreatur, ein wenig melancholisch und doch freundlich im Lichte des hoffnungsfrohen Morgens, dennoch etwas entrückt und außenstehend, als wäre die Kälte der Nacht noch nicht ganz aus seinen Gliedern gewichen oder gar in ihnen beheimatet.
Auch andere Wesen, in merkwürdigen Farben, die nicht so recht in diese Ebene passen wollen, sie wirken hier fremd, als wären sie aus einem fernen Reich hier her gekommen, um die Kreatur in ihrer Mitte zu treffen, und ein seltsam eingängiger Gesang schallt über die Ebene und scheint sie alle zu einen, die vielen bunten Facetten der Besucher mit der Kreatur widerspruchsfrei zu versöhnen, ihr Lied gleicht einer Meditation oder einem Gebet, in dem die Konturen und Farben aller ein wenig unscharf zu werden scheinen, aufzugehen scheinen in dem leisen Tanz, der bald die ganze Ebene erfasst, ein rhythmisches Strömen und Fließen, ein beständiges Von-Einander-Entfernen und Einander-Nähern unter diesem Himmel des allgegenwärtigen Sonnenaufgangs.
Nur die Kreatur scheint nie ganz diese Kühle der Nacht zu überwinden, seiner Stimme bleibt etwas ungelenk-verfrorenes und eine tiefe Sehnsucht, und während eine helle Sonne langsam den Himmel hinaufkriecht und das bunte Treiben kein Ende zu suchen scheint, da wird seine Stimme lauter, die der Besucher scheint zu schwinden, und die Melancholie schwillt an zu einer zersetzenden Dissonanz, bald fein und kaum hörbar, bald kreischend und unerträglich, ein eifersüchtiger Mißklang, der jede andere Stimme aufzulöschen sucht, um neben diesem schrillen Ton nur noch Schweigen zu lassen.
Die anderen Wesen fügen sich, dies ist nicht ihre Welt, sie können nicht anders, und so verlöschen ihre Stimmen, eine nach der anderen, und ihre Körper werden dünner, ihre Präsenz schwächer, bald verschwinden sie ganz, und die Ebene wirkt nun seltsam biedern und einsam.
Und so mischt sich ein Schmerz in den korrumpierten Gesang der Kreatur, ein tosender, rachsüchtiger Schmerz der Einsamkeit, die Dissonanz schwillt an zu einem Heulen, das Heulen erstickt zu einem donnerndem Grollen, dass bald die ganze Ebene erfasst und sogar den Himmel zu stürzen droht, der jetzt seltsam grau herabstiert wie ein mißgünstiger Beobachter, und schließlich scheint es der Himmel selbst zu sein, der diesen unerträglich tragischen Ton ausstößt, während die Kreatur dort unten Asche und Feuer und Staub speit, der sich über die Sonne und den Himmel legt wie ein Leichentuch, ein dichter, stickiger Nebel, der aus dem Sonnenlicht Zwielicht und aus dem Blau des Himmels ein giftiges grau-braun macht. Schwarzes Wasser dringt aus der Kreatur hervor, in großen Flüssen strömt es in die Ebene und bedeckt sie, ertränkt sie ganz und gar, und vor dem Ende schwillt der fiebrige Klang in der Luft noch einmal an, wird zu einem wilden Sturm, der jede Hoffnung aus der Welt zu peitschen sucht und erst endet, wenn auch die Kreatur in diesem schwarzen Ozean gefangen und ertränkt ist.
Eine seltsame Ruhe legt sich auf die Ebene, die düstere Ewigkeit eines leeren Feldes nach der Schlacht.
Und tief unter dem wellenlosen Schwarz des Ozeans sinkt die Kreatur in einen schweren, lang währenden Schlaf. Das Wasser trägt die Erinnerung an diese tote Ebene schnell davon, bald bleibt der Kreatur davon nur noch ein dumpfes Gefühl, und so beginnt es zu träumen, zu träumen
Von einer besseren Welt. Ein blauer Himmel, viel größer als die verschlafene Ebene unter ihm, ein riesiges schimmerndes Dach für die Erde, blauer als blau, ein Zelt von der Farbe eines lang erstrittenen Friedens, klar und nur wenig ermattet. Das rot-blond eines fortdauernden Sonnenaufgangs an jedem Horizont und in jeder Himmelsrichtung zugleich, die feinfühlige Wärme des anbrechenden Tages in sich tragend wie eine frohe Botschaft.
In der Ebene aus hohen, friedvollen Gräsern und anschmiegsamen Bäumen eine seltsame Kreatur, ein wenig melancholisch und doch freundlich im Lichte des hoffnungsfrohen Morgens, dennoch etwas entrückt und außenstehend, als wäre die Kälte der Nacht noch nicht ganz aus seinen Gliedern gewichen oder gar in ihnen beheimatet.