Der Tänzer

Diesen Artikel drucken 9. Januar 2011

Einen Schritt macht er, einen weiteren – er taumelt, stolpert, streckt das andere Bein vor, findet wieder Halt und macht wieder einen Schritt, der nur sicher wirkt, bis er wieder zu fallen scheint: Aus einiger Entfernung könnte man glauben, er tanze, wenn auch etwas ungelenk, und in der Tat hat es etwas von einem hässlichen Tanz. Nur, wenn man genau hinsieht, kann man es sehen; nichts läge ihm ferner als das Tanzen: Was ihn unruhig wandern und immer wieder stolpern lässt, das sind die Löcher im Parkett.

Er sieht sie nie genau an, diese Löcher, und das erklärt auch, warum ihm ihr Mangel an Tiefe nie auffällt, obwohl sie doch jedem Außenstehenden sofort als etwas Aufgemaltes, ja gar von ihm Hingezeichnetes auffallen würden; Er ist so sehr mit seinem seltsamen Schwindel befasst, dass es ihm entgehen muss. Aber natürlich weiß er, wer verantwortlich ist: Das wechselt zwar, aber stets berichtet er – schwärmt beinahe – von den Zionisten, dem Bankertum und der Pharma-Industrie, den alten Geheimbünden und neuen Eliten, kurz,  von der ganzen großen Verschwörung, in deren Zentrum er seinen Weg zwischen den ausgehobenen Gruben sucht und nicht findet. Da wären etwa etwa die Biochips, mit denen die Regierung ihre Gedankenkontrollexperimente in die Tat umsetzen will; da sind auch die Jetstreams, mit denen sie den Himmel vergiften; die große Lüge über die Erwärmung der Erde; die Nachbarn von gegenüber, die für die arbeiten, ohne dass er weiß, wissen will oder wissen kann, wer die nun genau sind, aber das ist auch egal, es sind die, die, die es immer sind, nur stets in anderer Form, es sind die Reptiloiden, die den ganzen Planeten unterwandern, es sind Geheimagenten und Killerkommandos, es ist George W. Bush und es sind die Zusatzstoffe im Müsli, alle wollen sie ihm ans Leder, alle reißen Löcher in den Boden, gerade da, wo er eben noch sicher stehen konnte, gerade dort, wo er gehen wollte. Kaum ist er einem Anschlag entgangen, lauert unter seinen Füßen schon der nächste, der nächste Angriff auf seine Autonomie, auf das freie Denken an sich, die Menschheit als ganzes, von irgendwoher, Attacken aus der Nichts in das Nichts für nichts als die Interessen der wenigen Herrschenden, Planenden. Cui bono, wem nützt es, seine Lieblingsfrage, der einzige Garant, die einzige Konstante in dieser Welt der unsichtbaren Mächte, Freund in der ständig drohenden Dämmerung.

Leicht hätte man ihn fällen können, ihm den verzweifelten Lebenswillen rauben können, der ihm die Kraft für den seltsamen Tanz gab, hätte man ihn nur gefragt, was er denn wolle (und wem das nütze), ob er nicht wolle, was sie wollen – oder umgekehrt – (und wem das nütze) und ob er wolle, was er will, oder will, was er wolle (und wem das nütze), alles Fragen, die ihn in endlosen Pirouetten nicht mehr auf dem Parkett, sondern im Kreise um sich selbst gehalten hätten. Schließlich bliebe nichts als die endlose Drehung der Teile um sich selbst, einer Kommunikation unfähig, und das stille Eingeständnis:

Die Glieder haben sich gegen den Kopf verschworen; der Kopf gegen den Magen; der Magen gegen die Gedärme, und so fort, bis jeder gegen jeden spielt und keiner von keinem etwas weiß außer, dass ihm nicht zu trauen ist. Stealth-Panzer überrollen das Lymphsystem; Schläfer lauern im Thalamus. Die Großmächte schlagen ihre Schlacht um den Cortex nur noch zum Schein, ihre Vereinbarungen richten sich längst auf anderes: Während der Zionismus in meinem Kopf siedend-heiß zündet, kündet das Thermit in meinen Adern von einem neuen, größeren Staat.

Wie wir Feinde wurden

Diesen Artikel drucken 16. Februar 2009

Wir kannten uns schon lange, hatten viel miteinander erlebt, und deshalb betrübte es mich sehr, als ich es erkannte. Es begann wie jede große Veränderung mit einem einzigen Wort, oder auch einem Satz. Wir waren auch früher manchmal unterschiedlicher Meinung gewesen, so ist das nun mal, wenn man sich lange kennt.
So war es auch, als es begann: Ich schenkte dieser Meinungsverschiedenheit keine große Bedeutung, erklärte mich und meine Gedanken, ließ es dabei bewenden. Dabei hätte es mir klar sein müssen, als ich sah, wie er sich kurz von mir abwandte, bevor er das Thema wechselte. Ich glaube, der Riss war schon in diesem Moment da; er konnte mich nicht ansehen, er konnte es einfach nicht ertragen, in das Gesicht zu blicken, das ihm widersprochen hatte. Das verstand ich nicht sofort, erst später habe ich mich daran erinnert. Damals habe ich es nur verwundert registriert; ich bemerkte auch, wie er immer stiller wurde, aber konnte mir darauf ebenfalls keinen Reim machen. Doch schließlich schwieg er mich immer an: wenn ich fragte, was denn sei, reagierte er störrisch und sah an mir vorbei, als wäre ich gar nicht da. Er antwortete nur, er sei müde oder krank oder betrunken. Einige Zeit später fiel mir auf, wie sehr sich unsere Freunde veränderten, was ihr Verhalten mir gegenüber anging. Immer hatte ich das Gefühl, sie wüssten etwas, das mir entgangen war. So, als ob jemand ihnen peinliche oder geheime Dinge über mich erzählt hätte, Dinge, die ich niemandem erzählen würde – von ihm einmal abgesehen. Es dauerte noch eine Weile, bis der Verdacht in mir wirklich keimte, schließlich hatte er schon so viel für mich getan, ohne Dank zu verlangen. Nicht ohne Grund hatte ich diese Dinge nur ihm erzählt.
Als ich jedoch endlich seine Veränderung, sein zurückgezogenes und grantiges Auftreten mir gegenüber dazu nahm, war der Argwohn in mir geweckt. Also stellte ich ihn zur Rede; ich fragte ihn, ob er wüsste, was mit unseren Freunden sei, warum sie mich so seltsam behandelten. Er schüttelte nur den Kopf und sah wieder an mir vorbei. Ich glaubte ihm nicht und fragte ihn noch einmal. Er knurrte; wirklich, er knurrte wie ein Hund. Ich verlangte von ihm, mir Antwort zu geben, mit mir zu sprechen, wenigstens das sei er mir schuldig, doch er gab mir keine. Nur sein Knurren wurde lauter. Ich konnte sehen, wie er die Augen verdrehte. Einen Schritt ging ich auf ihn zu, rief ihn an, er solle sich  bekennen. Er knurrte nur weiter, ich sah, wie seine krallenartigen Finger sich verkrampfen, er fletschte die Zähne wie ein Tier: so hatte ich ihn nie zuvor erlebt. Und immer noch starrte er an mir vorbei. Schließlich konnte ich nicht anders: Meine Hände fanden seinen Kopf, und einen Moment lang rangen wir miteinander. Dann ergab er sich, wie er sich meiner Gewalt bisher immer ergeben hatte, und ließ mich seinen Kopf drehen, so dass er mir in die Augen sehen musste. In seinem Ausdruck sah ich die seltsamste Empfindung, die ich mir denken kann, und ich weiß nicht, ob ich jemals richtig beschreiben werde. Es war Wut, aber nicht seine. Es war ein Gefühl, das eigentlich ich haben sollte. Doch nicht so, als ob mir dieses Gefühl fehlen würde; ganz im Gegenteil, der Wut fehlte ihr Träger, und so war sie auf ihn übergegangen, quälte ihn, machte ihn fast tollwütig vor Schmerz. Ich war erschrocken, mitleidig. Er hatte mir so lange Zeit so gut gedient, und jetzt war etwas geschehen, etwas, das wir beide nicht verstanden. Das dachte ich, als ich seinen Blick sah. Es dauerte nur Sekunden, nur einen Moment gestattete er mir, einen letzten Blick auf seine Augen zu werfen, dann riss er sich los und biss mir in der Hand; das hatte er noch nie getan. Jaulend lief er davon, während ich mir die schmerzende Hand hielt.
Seitdem habe ich nicht mehr ihm gesprochen. Er hält sich irgendwo im Verborgenen auf, ich weiß nicht, wo: er war immer gut darin, sich zu verstecken. Ich weiß bis heute nicht, warum es geschah, und allein die Frage danach, was überhaupt geschehen war, ließ mich lange grübeln.

Erst, als ich ihn einmal lange im Spiegel betrachtete, ihn wieder und wieder sah, begriff ich es wirklich. Wir waren Feinde geworden. Wir würden immer Feinde sein.

Paladin

Diesen Artikel drucken 19. Januar 2009

PaladinSein Mut kennt kaum Grenzen; sein Einsatz ist unbegrenzt. Nur irdische Fesseln, nur der Tod seines Körpers kann ihn aufhalten. Sein Willen, seine Seele gehört einzig und allein der einen, der guten Sache. Er ist taub für Bestechung, Leid nimmt er stoisch hin. Er erträgt alles; er fühlt keinen Schmerz.
Wo immer es auch in seinem Einflussbereich ein Unrecht gibt, wirft er seine Kraft in die Waagschale und befördert das Gute, das Gerechte, das Unschuldige. Geachtet wird er von denen, die Recht tun und unter seinem Schutz stehen. Gefürchtet ist er unter denen, die in den Schatten kauern, deren Köpfe voller Hass und böser Absichten sind. Er steht allein; er fühlt keine Angst.
Irgendwo, vielleicht am anderen Ende der Welt, vielleicht nur einen Blick entfernt, gibt es noch andere wie ihn, das weiß er. Nicht alle kämpfen auf diesem, seinem Schlachtfeld; einige sind vielleicht Soldaten, andere Buchhalter, sie gleichen sich dennoch. Die Berufe mögen unterschiedliche sein, die Oberflächen, aber im Kern sind sie gleich. Und dennoch, eines Tages wird er fallen, und er wird allein sein; er fühlt keinen Gram.
Selbst, wenn er scheitern sollte, wenn sein Körper schließlich nachgeben wird, fürchtet er nicht um seine Mission: andere werden kommen und seinen Platz einnehmen.
Der Paladin unterwirft sich mit all seinen Eigenarten und Fähigkeiten dem einen Prinzip, das Gute zu verteidigen, unwiderruflich und absolut. Der Paladin ist blind für seine Schmerzen, für seine eigenen Bedürfnisse und selbstlos in jeder Konsequenz. Der Paladin ist mitleidlos und rücksichtslos, wenn er gegen das Böse kämpft, selbst wenn er töten muss. Der Paladin fühlt sich als Teil einer Gemeinschaft, einer Gemeinschaft aus vielen, die einen bilden; Der Paladin ist Faschist.

Der Wunsch

Diesen Artikel drucken 12. Januar 2009

Er ist selten deutlich, eigentlich fast nie, und wenn, dann schreien andere Gedanken und Vorstellungen in seinem Kopf so laut auf, dass er ihn nicht hören kann. Dennoch weiß er sicher, dass er ihn hat, denn zu einem gewissen Teil ist er es, der über dieses Aufkreischen befiehlt. Er braucht diesen Wunsch, aber zu groß und zu schwer darf er ihm auch nicht werden, das ist ihm klar; es ist ein diffizil zu haltendes Gleichgewicht, das ihn und den Wunsch am Fallen hindert, und er hält es, obwohl er sich gar nicht sicher sein kann, ob er den Sturz denn grausamer finden soll als das leere Bett, auf das er jeden Morgen starrt, als den erbarmungslosen Sonnenaufgang, an dem er auf dem Weg zur Arbeit vorbeifährt.

Der Wunsch Aber natürlich gibt es immer auch andere Wünsche und Antriebe, und so hält er eben die Balance, die zwischen dem Hunger (jeder Art von Hunger) und dem Wunsch, die zwischen dem Durst (jeder Art von Durst) und dem Wunsch und so weiter und so fort, so dass er am Ende stets ein wenig von dem Wunsch hat, ohne dass es ihn hinabreißt. Natürlich aber droht das immer; so ist es nun einmal, wenn man balanciert, es bräuchte nur einen kleinen Stoß, einen winzigen Ruck, um alles zunichte zu machen, und jeder, der schon einmal lange genug auf einem Bein stand weiß, dass man sich diesen Stoß irgendwann selbst geben möchte: Die Balance ist nicht nur schwer zu halten, sie ist auch schwer auszuhalten. Vielleicht möchte man sie vernichten, nur damit die Stasis aufhört, damit etwas, nur irgendetwas geschieht; Er weiß nicht, warum dem so ist. Vielleicht ist es eine Art von Destruktivität, die in jedem schlummert, vielleicht auch nur eine Art Spieltrieb. Er jedenfalls erwischt sich manchmal dabei, wie er sich selbst heimlich einen Stoß gibt.
Niemand weiß besser als er, wann der Wunsch am stärksten ist, und wie jeder gute Verschwörer hat er gelernt, unauffällig zu planen und subtil einzugreifen.
So kann es sein, dass er abends ganz beiläufig die Heizung im Bad abstellt, bevor er zu Bett geht. Er sagt sich dann, es sei zu warm oder es koste zu viel Energie.
Wenn er dann am Morgen nackt in der Eiseskälte auf tauben Füßen zittert, dann weiß er natürlich, was er getan hat und eigentlich auch, warum, und er ärgert sich furchtbar darüber, obwohl er weiß, dass er es wieder tun wird. Die frühen Stunden belasten ihn ohnehin schon, und nichts beflügelt den Wunsch mehr als diese feuchte Kälte, die die Füße hinaufkriecht, den Bauch erreicht und schließlich den Kopf befällt.
Das ist sicher nicht die einzige Art von Stoß, die er sich gibt; manchmal denkt er auch daran, das Gleichgewicht ganz zu kippen. Diesem Wunsch kann er nicht nachgeben, das weiß er, aber es gibt andere, vielleicht solche, die man gegen den originären austauschen könnte. Manchmal etwa stellt er eine Flasche aus dem Spiritousenschrank auf den Frühstückstisch und sieht sie fest an; er trinkt nie daraus, zumindest hat er es bisher nicht getan. Es ist nicht so, dass er es nicht wollen würde: er wagt es nur noch nicht. Es kann nicht mehr lange dauern, bis er seinem Wunsch nachgibt oder diesem anderen. Er weiß das, aber es macht ihm nichts aus. Vielleicht gibt es nichts Schlimmeres auf der Welt, als ewig ein Gleichgewicht zu halten.

Die schwarze Stadt

Diesen Artikel drucken 5. Januar 2009

Es muss in der Bar gewesen sein; ja, in der Bar war es. Ich saß auf einem Schemel und ließ die Eiswürfel in meinem Glas leise klimpern, als ich zum ersten Mal davon hörte. Mein Spanisch ist schlecht, um nicht zu sagen grausig, aber ich hatte schon eine Weile versucht dem Gespräch zweier älterer Männer zu folgen, und so verstand ich zumindest die Worte ciuadad und negra. Etwas an dem Ausdruck war mir seltsam vertraut, ich war nicht überrascht, ihn zu hören, ich weiß nicht, warum. Vielleicht, so denke ich jetzt, hatte ich ihn viel früher schon einmal gehört, wer weiß. Zu diesem Zeitpunkt schenkte ich dem Detail kaum Aufmerksamkeit; es irritierte mich ein wenig, aber nicht mehr als die winzigen Zufälle, die uns täglich begegnen; ich hörte einfach weiter interessiert zu.
Je länger ich lauschte, desto mehr Worte verstand ich. Die beiden sprachen schnell, und offenbar hatten sie getrunken, aber nach einer Weile schnappte ich immer mehr Worte auf, zunächst nur einfache; avenida, calle, casa und immer wieder la ciudad negra. Schließlich war ich überrascht, dass ich sogar ganze Sätze verstand. Wie gesagt, ich spreche kaum Spanisch und verstehe wenig mehr. Dennoch wurden aus den Silben Worte, aus den Worten Sätze, schließlich war es fast so, als würden die beiden Englisch miteinander sprechen, und ich folgte ihrem Gespräch mühelos.

La ciudad negra

Schnell begriff ich, dass die beiden scheinbar nur über Architektur oder etwas Ähnliches redeten. Sie sprachen nur von Gebäuden, Straßenecken, schienen sich die Lage von Häusern oder Plätzen zu erklären; einmal ging es um eine Kirche und den nicht endenden Pfad, der sich um ihre Türme zog. Ein anderes Mal sprachen sie über die Kurven einer breiten Straße am Meer, deren Windungen immer wieder in die selbe Richtung wiesen. Es dauerte einige Minuten, bis ich ganz begriff; ich sah die kleinen, fast unsichtbaren Handbewegungen der Alten auf dem Tisch, erkannte die Linien, die sie damit zeichneten. Offenbar erklärten sie sich gegenseitig ein Straßennetz; Ich weiß nicht, warum sie es taten, aber sie taten es unentwegt, mit stakkatohaften, montonen Stimmen.
Ich muss dort lange gesessen haben, während ich nur zuhörte; das Gespräch war mir unheimlich, aber ich konnte mich nicht abwenden oder aufstehen. Es war nicht allein die Tatsache, dass ich plötzlich das Spanisch alter Einheimischer verstand, die mich frösteln ließ. Es war die Art, wie sie von den Straßen dieser fremden Stadt sprachen. Sie machten keine Pausen; sie redeten und redeten, ohne auch nur aufzublicken, wenn jemand hereinkam. Dabei war ihr Blick immer fern, so, als ob es sie nicht willentlich davon sprechen würden, als ob sie jemand oder etwas dazu zwingen würde. Meine Anspannung wuchs, ohne dass ich der Situation hätte entgehen können: Ich erwischte mich selbst dabei, wie ich mit meinen Fingernägeln Straßen und Kanäle in meine Serviette ritzte, ganz in der Anordnung, wie sie die Alten beschrieben. Vielleicht waren es zwei Stunden, die ich dort saß; vielleicht war es auch weniger Zeit, vielleicht mehr.

Schließlich sprang ich von meinem Tisch auf: Es war mir augenblicklich peinlich, so zu reagieren, aber ich konnte nicht anders, denke ich. Alle im Raum verharrten einen Moment in der Bewegung und starrten mich an, sogar die Alten. Ich versuchte wohl zu lächeln und ging langsam zur Theke, ich wollte nur noch raus aus der Bar, raus an die frische Luft. Als ich zahlte sah ich, dass die beiden Männer mich immer noch anschauten: Unwillkürlich nickte ich ihnen zu, sie nickten zurück und starrten. Ich nahm mein Wechselgeld und sah noch einmal zu den Alten herüber; ein Wort las ich auf ihren Lippen, sie raunten es sich offenbar zu: ciuadadono, Bürger. Ich wand mich zur Tür und spürte immer noch ihre Blicke. Für einen Moment lang wollte ich losrennen, die Bar und diese grässlichen Männer endlich hinter mir lassen; aber dann besann ich mich und hielt direkt auf die beiden zu. Etwas verblüfft bemerkte ich, wieviel Mühe es mir bereitete, die Frage in verständlichem Spanisch zu stellen: Qué estad la ciudad negra?
Ich glaube, meine Aussprache war so schlecht, dass sie einen Augenblick brauchten, um mich zu verstehen, denn für eine oder zwei Sekunden sahen sie mich nur verständnislos an. Dann jedoch fingen sie an zu schreien und zu fluchen.
Ich weiß nicht, was sie sagten und schrien; dem Klang nach waren es sicher üble Flüche und Schimpfwörter, aber ich verstand kein Wort von dem, was sie sagten. Ich versuchte, sie auf Englisch zu beruhigen, aber es gelang mir nicht. Wütend redeten sie auf mich ein und gestikulierten mit ihren rauchschwarzen Händen wild in der Luft. Ich konnte den Hass in ihren Augen sehen; es war eine seltsame Art von Hass, und schon damals glaubte ich, ein wenig Neid darin zu erkennen. Vielleicht hätten sie mich geschlagen, wenn sie genug Zeit gehabt hätten, ich weiß es nicht: Der Barkeeper stand plötzlich zwischen uns und schob mich zur Tür raus; auf Englisch deutete er mir, schnell zu gehen. Ich hörte ihre wütenden Schreie noch Hunderte von Metern weit.
Dennoch, der brenzligen Situation knapp entgangen, war ich wieder etwas entspannt, fast euphorisch. Mei seltsames Erlebnis in der Bar erschien mir plötzlich ganz unwesentlich, und ich dachte nicht weiter darüber nach. Daran erinnere ich mich gut; es war eine klare Nacht, und der Mond stand hell am Himmel. Ich pfiff wohl ein Lied, auch wenn ich nicht mehr genau weiß, welches. Die beiden Alten begegneten mir nicht auf dem Weg zum Meer, und das beruhigte mich noch mehr. Die einzigen anderen Menschen auf den Straßen hielten Abstand zu mir und hatten die Köpfe tief gesenkt: Damals glaubte ich, sie hätten vielleicht Angst vor mir, immerhin bin ich recht groß geraten.

Schließlich passierte ich den Park, den ich schon am Tage mehrfach durchquert hatte. Bevor ich ihn betrat, blieb ich einen Moment lang stehen, um nach Geräuschen nach lauschen; aber ich hörte nichts, und so hielt ich die Passage für ungefährlich. Ich war bereits fast am anderen Ende der Anlage, als ich das Kichern und Glucksen hörte. Im ersten Moment erschreckte es mich furchtbar, weil es zuvor so still gewesen war. Ich sah zu einer der Laternen hinüber, die den Park säumten, und fand die Quelle der seltsamen Laute: es war eine ältere Frau, ihr Alter war schwer zu schätzen, aber alt war sie in jedem Fall, mindestens 60 Jahre alt. Im fahlen Licht der Laterne konnte ich ihre an den Schultern deutlich abgemagerte Gestalt erkennen; Sie trug Fetzen von grau-weißen Tüchern und Stoffen, einige Löcher schienen mit Zeitungen geflickt worden zu sein; vor sich her schob sie einen alten Kinderwagen, der bis zum Rand mit einem schwarzen Material gefüllt zu sein schien. Heute glaube ich, dass es Kohle war; damals konnte ich es nicht einordnen, und in diesem Moment war es mir auch nicht so wichtig. Was mir damals zuerst ins Auge sprang, das war der längliche, schwarze Strich, der sich durch ihr verwittertes kleines Gesicht zog: er war etwa daumendick und führt von der Wange bis hoch auf die Stirn.
Die Frau kicherte nur weiter, während ich mich ihr näherte; erst, als ich sie passierte, sprach sie mit mir. Auch du wirst bald die schwarze Stadt kennen, Markus.
sagte sie in etwas stockendem Deutsch, und ich blieb schlagartig stehen. Sie sagte es nicht noch einmal, kicherte nur wieder und humpelte langsam mit dem quietschenden Wagen voran. Ich war mir sicher, dass ich mich nicht verhört hatte, aber ich wagte nicht, sie danach zu fragen. In meiner Erinnerung blieb ich dort einige Sekunden stehen. Ich hörte nur meinen unruhigen Atem, das Kichern der Alten und das Quietschen der kleinen Räder. Schließlich ging ich weiter, ohne mich noch einmal umzudrehen: ich bemühte mich, nicht zu laufen, aber ich ging so schnell ich konnte. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich unterwegs war; es waren nur einige Hundert Meter zu den Hotels, aber in meiner Erinnerung ist es viel ausgedehnter, ohne dass ich sagen könnte, was daran größer oder länger war. Aber ich weiß, dass ich irgendwann wieder an der Kreuzung kurz vor dem Strand stand und bemerkte, wie sich mein Atem wieder beruhigte.
Hier war alles ruhig; die riesigen Hotelburgen lagen da und schlummerten ebenso wie die meisten ihrer Bewohner. Nur hinter wenigen Fenstern brannte noch schwaches Licht, ansonsten gab es nur die gelbliche Straßenbeleuchtung und das Flackern der Orientierungslampen auf den Dächern. Ich musste an die beiden Männer in der Bar denken, glaube ich; ich lachte ein wenig über mich selbst und über die alte Frau im Park. Es waren sicher Zufälle gewesen, seltsame Zufälle, das dachte ich. Dann drehte ich mich um und sah die Ruine.
Sie war mir bei meinen früheren Spaziergängen nie aufgefallen, und deshalb starrte ich überrascht auf die halbfertigen Stockwerke, die vor mir in den Himmel ragten. Etwas war seltsam an diesem Ding, das wusste ich sofort; es waren die Winkel oder vielleicht auch die Proportionen, sie schienen nicht so recht zu passen. Die Außenwände und die Böden der Etagen wirkten verzogen, als hätte man sie nicht wirklich für den Gebrauch gebaut, sondern nur um einen Effekt zu erzielen. Aber am erstaunlichsten waren die schwarzen Löcher in der Fassade, in denen wohl eigentlich Fenster stecken sollten. Sie waren krumm und ellipsenförmig; für einen Moment lange erkannte ich darin die Pervertierung menschlicher Augen, aber dazu fehlten die Pupillen oder irgendetwas anderes, das den Blick hätte fangen können. Ich muss eine Weile in die Fensteröffnungen gestarrt haben, aber da war nichts, nichts als Dunkelheit.
Als ich mich umdrehte, war das Licht der Straßenlaternen verschwunden. Ich weiß nicht, wann sie ausgeschaltet wurden; ich weiß nicht einmal, ob sie wirklich ausgeschaltet waren. Es war stockdunkel; das Licht hinter den Fenstern der Hotelburgen, die roten Blinklichter auf den Dächer, verschwunden. Selbst den Mond konnte ich nicht mehr sehen. Ich lief auf die andere Straßenseite, zu dem Hotel, das ich dort eben noch hell gesehen hatte. Aber als ich in der Dunkelheit etwas erkennen konnte, da sah ich nur wieder eine Ruine, eine Ruine mit verzogenen Wänden und Löchern, wo Fenster sein sollten.
Die Panik erfasste mich ganz: ich lief los, ohne zu wissen wohin, immer weiter die Straße entlang. Nach links und rechts sah ich aus den Augenwinkeln immer nur die gitterförmigen Betonfassaden mit den gähnenden schwarzen Löchern darin, kein bewohntes Haus, nichts, nur die Ruinen. Zweimal stolperte ich, einmal schlug ich mir den Arm auf, aber ich lief weiter. Ich muss eine ganze Weile gerannt sein, denn obwohl sich an dem, was ich um mich herum zu meinem Entsetzen sah, nichts änderte, schwand meine Panik allmählich. Schließlich lief ich langsamer, bis ich wieder ging. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, aber immerhin war ich wieder so ruhig, dass ich mich umschauen konnte; die Ruinen schienen mir nicht alle gleich zu sein, das fiel mir auf. Die, die ich zuerst gesehen hatte, war wirklich wie ein Hotel-Rohbau gewesen. Es gab aber auch Ruinen, die alten Gebäuden ähnelten; ich erkannte eine Kirche, eine Schule. Dann sah ich auch einen Supermarkt, zumindest hielt ich es für einen. Die Straße, der ich gefolgt war (ich glaube, ich bin nirgendwo abgebogen), war kurvig, und ein Instinkt weckte in mir den Verdacht, dass sie an irgendeinem Punkt wieder im Kreis führen musste; aber das ist nur ein Gefühl, und das muss nicht stimmen. Ich wusste nicht, wo ich war; ich war in einer verlassenen Stadt, oder so etwas ähnlichem, aber ich wusste nicht, wie ich von dort wegkommen sollte – oder wie ich dort hingekommen war.

Als ich den ersten Menschen sah, der mir auf der Straße entgegenkam, war ich froh. Fast wäre ich auf ihn zugelaufen, aber ich wollte ihm keine Angst machen und wartete deshalb geduldig, um ihn nach dem Weg zu fragen. Erst als ich ganz nah bei ihm war, sah ich den Strich. Die Angst legte sich wieder um meine Beine. Irgendein Laut entwich mir, ein Seufzen vielleicht oder ein überraschtes Pfeifen, dann war ich stumm. Das Wesen sah kurz zu mir auf; ich konnte keine Regung erkennen, nicht einmal ein Erkennen oder ein Fokussieren. Die Augen waren seltsam leer, auf eine vertraute Weise, und erst jetzt konnte ich auch hören, dass das Wesen unentwegt sprach. Ich verstand seine Worte sofort, ich weiß nicht, ob es Spanisch oder Deutsch war oder irgendeine andere Sprache, ich verstand sie einfach; es sprach von der Stadt, ganz so, wie es die Alten in der Bar getan hatten. Ich blieb wie angewurzelt stehen und sah, wie noch eine Gestalt aus der Dunkelheit kam und langsam die Straße herunterging, dann noch eine, und noch eine, schließlich sah ich viele, alle mit dem Strich durch das Gesicht gezeichnet. Ich sah auch die alte Frau aus dem Park; sie schob immer noch den schmutzigen Kinderwagen vor sich her, aber ihr Kichern war verstummt und vom dem sturren Gemurmel ersetzt worden, dass alle auf den Lippen hatten. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass diese Stadt nicht verlassen war; dies waren ihre Bewohner.
Ich weiß nicht, wieviele ich sah; ich weiß nicht, wie lang ich dort stand. Doch als ich loslief, da sah ich den Morgen am Horizont. Ein oder zwei der Wesen muss ich umgerempelt haben, ich erinnere mich daran, ihre Gesichter ganz nah vor mir zu haben; ich erkannte, wie sehr ihre Augen auf diese Entfernung den blinden Fensteröffnungen der Ruinen glichen.
Ich weiß nicht, wohin ich gelaufen bin: als ich morgens erwachte, lag in in einem kleinen, trockenen Graben gegenüber von meinem Hotel. Es war bereits Mittag. Den Kohlestrich auf meiner Stirn bemerkte ich erst vor dem Spiegel im Hotelzimmer. Ich reiste noch am Abend ab: der Portier sah mich nur hilflos an, als ich meine Geschichte erzählte. Ich weiß nicht, ob er mir geglaubt hat.
Ich habe die Tore der Schwarzen Stadt durchschritten und bin hierher zurückgekehrt; ich weiß nicht, warum sie mich gehen ließ. Manchmal denke ich, dass sie mich nie ganz losgelassen hat. Wenn ich traurig bin, dann spüre ich sie in mir, die Anwesenheit der Straßen und Plätze und Orte oder besser; ihre Abwesenheit. In manchen Augenblicken spüre ich das ganze unaussprechliche Netz der Gassen unter meiner Schädeldecke, die endlosen Ecken und Kurven und Sackgassen, den Puls ihrer entleerten Bewohner. Ich träume von ihr. Ich glaube manchmal, in ihr erwachen zu können; erwachen zu müssen. Vielleicht habe ich die Stadt nie verlassen.

Die Schneiderin

Diesen Artikel drucken 23. September 2008

Am liebsten mag sie die weiten, geraden Schnitte durch den Stoff. Man darf sie nur machen, wenn man gerade ein neues Kleidungsstück beginnt, und natürlich darf sie auch nicht beliebig schneiden; im Gegenteil, manchmal schlägt der Aufseher sie schon, wenn sie den Stoff nicht ganz gerade und sauber auftrennt. Aber dennoch, diese weiten, offenen Schnitte erregen sie auf eine seltsame Weise, sie hat selten Zeit, darüber zu nachzudenken, und so genießt sie es meist einfach nur. Aber manchmal weiß sie, was der Grund ist; dann sieht sie auf den blauen oder roten Stoff, blickt genau auf die Schere und auf den Riss, der sich schnurgerade voranbewegt – links ein Stück Stoff, rechts das andere. Sie denkt daran, dass diese Trennung endgültig ist; die linke und die rechte Seite, über die sie mit ihrer Schere befohlen hat, werden sich wahrscheinlich nie wieder begegnen. An einen Mann und an eine Frau denkt sie in solchen Momenten, die irgendwo in der von ihr genähten Kleidung umherlaufen, umherirren und sich nicht finden, weil sie diesen Schnitt so und nicht anders gemacht hat, zwei, die sich nie kennen und niemals lieben dürfen, weil sie es so entschieden hat und kein anderer. In der billigen Spiegelung der feinen Schere sieht sie dann ihren eigenen, grausamen Blick, und manchmal mag sie davon erschrocken sein, wenn auch nicht oft. Einmal hat sie sogar absichtlich einen unnötigen, einen falschen Schnitt gemacht, um sich selbst wieder so sehen zu können. Natürlich entdeckte der Aufseher es und schlug ihr wütend ins Gesicht. Schlimmer als dies aber war das Gefühl, dass sie danach beschlich. Dass nämlich ihre Fantasie zumindest dieses eine Mal wahr geworden sein könnte, dass sie schon deshalb zur Wirklichkeit geworden sein musste, weil sie diese Schläge in Kauf genommen hatte, nur um das Grausame in der Schere zu erkennen. Vielleicht hätte sie dieses Gefühl nicht gehabt, wenn sie nicht so gottesfürchtig wäre, wer weiß das schon; jedenfalls dachte sie danach oft auch nach der Arbeit an diesen Mann und die Frau, wenn sie auf ihrer Pritsche lag und nicht schlafen konnte. Sie träumte sogar von ihnen; es war nicht immer Albträume, aber meist. Sie sah die beiden Menschen, die sie so verflucht hatte. Sie sah die beiden in kalten, hohen Räumen, die so luxuriös waren, wie sie selbst es nur aus dem Fernsehen kannte, und immer waren sie allein; sie saßen in den Ecken ihrer Schlafzimmer, ihrer Wohnzimmer, ihrer unglaublich großen Bäder und weinten. Sie wussten nicht, dass sie aneinander fehlten, und so ahnten sie auch nicht, warum sie sich so einsam fühlten; der Schnitt der Scheren hatte nicht durch Stoff durchtrennt, sondern auch zwei Leben.
Es quälte die Schneiderin lange Zeit, und sie betete oft zu ihrem Herren, er möge ihr vergeben; Bitte, Herr, nimm von ihnen, was ich ihnen angetan habe, flüsterte sie in die schmutzigen Laken, immer wieder. Es half nichts, es kam keine Antwort. Aber zumindest schmerzte sie der böse Wunsch nach einigen Monaten nicht mehr so sehr; schließlich verfiel sie auf einen anderen Gedanken, der ihr schließlich die Ruhe zurückgab. Dieser kam ihr nicht in Traum, auch nicht als spirituelle Eingebung, nein, die Lösung fiel ihr ein, als sie einmal an ihren toten Mann dachte und an die zwei kleinen Kinder, die sie weggegeben hatte. Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis sie genug Geld gespart hatte, aber dann konnte sie dem Aufseher mit viel Zureden eine der Hosen abringen, die sie hergestellt hatte; sie suchte sich eine aus, deren Saum schief war. Sie ist jetzt schon etwas zerschlissen, weil sie sie jeden Tag unter den anderen Sachen trägt, aber das stört sie kaum. Die Hosen näht sie immer noch, und bei jedem weiten Schnitt lächelt sie grausam, auch wenn sie es manchmal nicht sehen möchte.


PS: Ich habe mal links eine Tagcloud realisiert. Die vergebenen Tags – bisher sind es nur wenige – stehen aber nicht unter jedem Text. Der Grund dafür ist, dass so eine Anzeige sehr leicht zum ‚Spoiler‘ werden kann, gerade bei Texten, deren Pointe etwas verwinkelt ist. Ich werde mich darum kümmern, dass man die entsprechend zugewiesenen Text nur per Mausklick sieht, aber das kann noch etwas dauern.

edit: Nun habe ich zumindest die aktuellsten Texte mal mit Tags versehen. Ich werde dieses Feature beibehalten, wenn es sich bewährt. Kommentare dazu sind erwünscht 🙂

Nicht nur Menschen

Diesen Artikel drucken 15. September 2008

Sie erkennen sich auf der Straße, nur am Blick, ein unsichtbares Nicken, du also auch. Da ist etwas Gefrorenes in ihren Augen, etwas Unmenschliches, etwas, das schon immer dem Hass gehörte, blind für das Leben, taub für Vergebung. Die meisten anderen Menschen haben schon von ihnen gehört, aber sie knüpfen Erwartungen an diese spezielle Spezies, wie sie sich vielleicht selber nennen würden, sie verknüpfen dieses Gefrorene mit Klischees, Bomberjacken, fremdländischen Flüchen, schlechter Kindheit vielleicht. Aber so einfach ist es nicht, und so gehen diese Einschätzungen oft fehl. Natürlich, es gibt sie, die offensichtlichen unter ihnen, die breitschultrig durch die Städte ziehen und jedem klarzumachen suchen, auf welcher Seite sie stehen, aber es sind nur wenige. Viele von ihnen tragen Anzüge und Aktenkoffer, selbst im Schlaf, gehorchen den Regeln, ewigen Regeln des Marktes, andere tragen Montagekleidung, manche Uniformen. Einige sind Außenseiter, wie sie kalt lächelnd sagen, sich dabei über die kahlgeschorenen Schädel fahren. Eigentlich sind sie ganz unabhängig von sozialem Status, von Einkommen, von politischen Haltungen und Dresscodes, von Hautfarben.
Vielleicht wurden sie schon so geboren, aber das wäre ein wenig zynisch, es erschiene unfair, nicht wahr, es wäre auch zu einfach, würde ihnen in die Hände spielen. Aber die Wahrheit ist; niemand weiß es genau. Gerne erzählt man von Arbeitslosigkeit, von strukturschwachen Regionen, von trinkenden Mütter und schlagenden Väter, und liebend gerne glaubt man all das, weil es Sicherheit bietet, es scheint den Kreis derer einzukreisen, die dieses besondere haben, dieses Gefährliche, das Außenstehende immer nur zu spät erkennen. Doch es ist eine falsche Sicherheit; ob Erklärungsmodelle der Moderne oder Prophezeiungen der alten Zeiten, sie alle gingen immer fehl.
Auch sie selbst wissen wohl kaum, warum sie so sind. Wer diese Gnadenlosigkeit hinter ihre Stirn gepflanzt hat. Was sie antreibt.
Klar ist nur, man hat sich Millionen von Bildern gemacht von ihnen; versucht, dieses Grauen, dieses Grausame einzufangen. Wenn im Film dort jemand einen am Boden liegenden tritt, so soll das einen von ihnen darstellen. Der Serienkiller im Abendprogramm, auch er ist einer von ihnen. Vielleicht war die Geschichte Kains eines der ersten Bilder. Manche würde sagen, Kain sei der erste unter ihnen gewesen.

Und es bleibt erstaunlich; trotz all dieser Vorstellungen, dieser Albträume, die Vorstellung bleibt vage. Selbst das sprachliche Vermögen bleibt unstet und nebulös, es zu benennen scheint unmöglich. Als eine gewisse Art der Gnadenlosigkeit könnte man sie beschreiben, diese Gemeinsamkeit, dieses Wesensgleiche, aber das bliebe eine Umschreibung, eine unsichere Begrenzung, mehr nicht. Das Böse hat man es früher genannt, vor der technischen Revolution, aber dieser Begriff ist obsolet, untergegangen im Fluss von Zwecken, Zielen, Rechtfertigungen.
Und dennoch, da bleibt etwas übrig, ein non-kausaler Rest bleibt von dem, was ansonsten wegerklärt wurde in der Rationalisierung der menschlichen Motive, etwas Unaussprechliches, ein kleiner Funken, dem der Begriff des Bösen vielleicht nie wirklich Bedeutung verleihen konnte. Nur Bilder helfen noch in der Wortlosigkeit, Bilder gesammelt in Jahrtausenden Menschheitsgeschichte. Religiöse Symbole sind darunter, Bilder von Teufel, Dämonen, abstrakten Gestalten spiritueller, naiver Boshaftigkeit. Und später auch die Zeichen einer anderen, totalitären Form, Fotos von zerstörten Städten, von Lagern, von düsteren Gräben voller Schlamm und Tod, in deren Kontext Begriffe wie ‚Sünde‘ oder ‚Hölle‘ nicht mehr zu passen scheinen, ersetzt worden sind durch die Befehls- und Handlungsketten von Ideologien und Prinzipien. Auch Darstellungen von Hungernden sind dabei, von Verdurstenden, von Menschen, die durch den Müll einer anderen Nation krank geworden sind. Andere Zeiten, andere Menschen, andere Bilder, andere Worte – Totalitarismus, Ideologie, Profitdenken, Gewinnmaximierung, Perspektivlosigkeit, Fundamentalismus.
Und obwohl all diese Worte und die mit ihnen verknüpften Konstrukte verschieden zu sein schienen, verschleierten sie doch eine Ähnlichkeit – eine diffuse, nicht greifbare Ähnlichkeit, eine Ähnlichkeit des Charakters, nicht der Oberflächen, etwa so wie die Ähnlichkeit zwischen entstellten Zwillingen.
Mit naiven Termen von Moral oder Antimoral wäre sie nicht zu fassen, diese Eigenart, auch wenn sich manche der Menschen, die sie tragen, dafür zu eignen scheinen.
Die meisten jedoch bewegen sich ganz und gar außerhalb solcher Begrifflichkeiten, ihre Taten decken sie durch Diskurslosigkeit, durch Nicht-Reflexion. Oder sie deuten sie ganz im Rahmen eines moralisches Systems, eines, dass sie sich selbst nach Belieben wählen; so ist es mit Inquisitoren, mit Faschisten, mit Bankkaufleuten, manchmal sogar mit Umweltaktivisten.

Die Wahrheit ist; es gibt keine klaren Erkennungszeichen. Sie müssen keine Waffen tragen. Es braucht keine politischen oder ethischen Bekenntnisse, auch Tätowierungen und Abzeichen liefern keine Sicherheit. Darüber kann man ins Grübeln verfallen; Manche denken gar, jeder könnte einer von ihnen sein, und vielleicht stimmt das auch. Vielleicht ist es sogar schlimmer – jeder von uns ist einer von ihnen, oder könnte so werden wie sie. Vielleicht dienen all die Bilder in Wirklichkeit dazu, uns vor uns selbst in Sicherheit zu wiegen.

EDIT: Lesetipp zu diesem Thema; Louis Borges – Deutsches Requiem und Arno Gruen – Der Wahnsinn der Normalität.

Gute Seelen

Diesen Artikel drucken 20. Juli 2008

Wenn da niemand wäre, der ab und zu zwischen den Betten hin- und hergehen würde, um einen gefälschten Brief unter eine der löchrigen Decken zu stecken oder mit schmutzigem Wasser überhitzte, fleckige Gesichter abzuwaschen, wenn es niemandem mehr gäbe, der sich wenigstens manchmal den fiebrigen Erzählen der vielen Verlorenen erbarmen würde, wenn kein menschliches Wesen noch diejenigen beruhigen würde, die aus ihren wirren, aber schönen Träumen in dieser düsteren Halle mit ihren staubigen Stahlstreben voller Risse erwachten – ja, dann wäre wirklich alles verloren.

Der Kampf nahm vieles, doch es blieben immer noch wenigstens ein paar wenige dieser guten, dieser treuen Seelen, die zumindest ein wenig Trost spenden konnten.

Natürlich gibt es auch die Ärzte, recht viele sogar; in ihren weißen Kitteln huschen sie durch die Lazarette, Geistern gleich. Viele von ihnen hatten ihre Ausbildung kaum beendet, als der Krieg kam, und so kennen sie ihren Beruf nur mit dem Antlitz, den er im Krieg hat – dem einer anderen Art des Krieges, eines aussichtslosen Vernichtungsfeldzugs gegen den Tod und die Kampfunfähigkeit.

Doch was nützen schon Ärzte; Beine können sie abschneiden, Splitter entfernen, aber was ist das schon. Sie sind nur Soldaten, auch wenn sie keine Gewehre tragen. Welchen Trost kann ein Soldat schon spenden? Hier, am Ende aller hehren Ziele und Siegesversprechen? Und: Was ist eine gut genähte Wunde schon ohne Trost, wenn es schon so weit gekommen ist mit der Welt? Nichts, und so braucht es immer noch ein paar gute Menschen, um wirklich zu heilen.
An manchen Orten, in manchen Spitälern gibt es keine mehr; sie sind getötet worden oder an Erschöpfung, am Kummer und am Dreck gestorben. An solchen Plätzen hilft die beste Kunst der Ärzte nichts mehr. Sie behandeln die Verletzten – vorrangig natürlich die Soldaten – sie operieren und amputieren, sie schneiden und schienen, aber die Menschen sterben trotzdem; vielleicht wollen sie es auch nicht anders, die Ärzte wie die Patienten; alles, alles mag geschehen, nur soll dieser verdammte Krieg endlich verloren gehen, der eine wie der andere. Ohne Hoffnung gibt es keine Chance auf Gesundheit.

Trost gibt es nur noch in wenigen Lazaretten und Spitälern; Verwundete schreien und zettern deshalb manchmal, wenn man sie in eins der Lager bringen will, in dem nur noch Ärzte arbeiten. Und so bringt man alle Verletzten im Umkreis von mehreren Dutzend Kilometern in diese alte Turnhalle, deren nackte Stahlstreben ganz rissig sind von den vielen Einschlägen in der Nähe. Dort arbeitet nur noch eine etwas ältere Frau, von den Ärzten abgesehen. Früher waren sie zu fünft, aber das war, als man dieses Lager eingerichtet hatte, vor vielen Monaten. Ihr Gesicht ist müde, und ein steifes Lächeln hat sich in die Mundwinkel gebrannt; zweimal wäre sie selbst fast Opfer einer der vielen Infektionskrankheiten geworden, die in den Lagern grassieren. Für sie gibt ebenso wie für ihre Kollegen in anderen Lagern keine Berufsbezeichnung; die Ärzte rufen sie meist immer noch Schwester oder Pfleger, aber kaum einer von ihnen hat eine entsprechende Ausbildung. Einen allgemeinen Oberbegriff gibt es nicht; nur die Alten sprechen manchmal von den Seelen, aber so redet auf der Straße niemand. Die Patienten und auch all die anderen nennen die Frau mit dem steifen Lächeln einfach bei ihrem Namen,
Auch sie hat den Beruf der Krankenschwester nie gelernt; sie war Lehrerin. Manchmal erzählt sie einem Patienten von ihren früheren Schülern. Die meisten von ihnen sind gefallen, und so tut sie es nur, wenn sie darum gebeten wird; sie weiß, dass es den Menschen gut tut, von früher zu hören. Doch meist redet sie nicht über ihre Schüler, sondern über etwas Unverfängliches aus der Vergangenheit. Sie hört auch zu, sie wäscht Wunden, kühlt Gesichter, sie tut, was getan werden muss, ohne Sold zu verlangen.

Sie ist, wie ihre Kollegen in anderen Lagern, nur ein Mensch; manchmal hat auch sie soviel Angst und Wut und Trauer im Bauch, dass sie nicht arbeiten kann. Sie trinkt, aber sie ist nicht die einzige, die abhängig ist; die meisten ‚Schwestern‘ sind es auf die eine oder andere Weise geworden, auch wenn sie schon vor dem Krieg abhängig war. Ein Mann etwa, dessen Lager sich stetig mit der Front bewegt, muss von Zeit zu Zeit einen der Leichtverletzten mit einer infizierten Nadel anstecken – nicht um ihn sterben, sondern um ihn durch seine Pflege genesen zu sehen.
Solch absonderliche Obsessionen hat sie nicht, sie trinkt nur. Andere Personen verstehen manchmal nicht, dass auch sie wirklich ein Mensch und nicht nur ein gänzlich selbstloser Engel ist. Der Dienst und der Alkohol zehren sie langsam auf, das stimmt. Sie weiß das und lässt es zu; aber das muss nicht bedeuten, dass sie ihr Leben gern wegwerfen könnte oder wollte; das sehen die anderen nicht immer. Einmal etwa schlug eine Granate in das Dach der Halle; das Gebäude schüttelte sich und schien zusammenbrechen zu wollen. In Panik rannte sie hinaus und ließ die Patienten, die nicht laufen oder gehen konnten, zurück. Dorthin hatten sich schon die Ärzte gerettet; sie jedoch, die immer so hilfsbereit und selbstlos tat, was sie konnte, starrte man mit einer Mischung aus Unverständnis und Überraschung an, als ob man nicht begreifen konnte, dass diese Frau um ihr Leben lief, statt sich um ihre Patienten zu kümmern und im Zweifel mit ihnen zu sterben.

Es dauerte Monate bis der Stabsarzt, der das Lazarett leitet, wieder mit ihr sprach, aber er hegt ohnehin einen Groll gegen sie, zumindest manchmal; sie soll einer verbotenen Partei angehört haben, vor dem Krieg.
Natürlich ist das falsch. Sie war Zeit ihres Lebens ein eher unpolitischer Mensch, zumindest war sie nie in einer Partei. Wahr ist, dass sie vor dem Krieg, schon Jahre davor, auf Demonstrationen gewesen ist. Wahr ist auch, dass man sie wegen ihrer Ansicht über den Großen Konflikt unzählige Male angepöbelt, bespuckt und drangsaliert hat, so lange, bis der Krieg nach der Schlacht bei Krakau kippte und sie mit dem Dienst in den Lazaretten begann. Einmal pflegte sie einen Verletzten, den sie als einen der Polizisten erkannte, der sie am Rande einer Versammlung verprügelte; er erkannte sie nicht, und sie sagte nichts davon, pflegte ihn nur.
Falsch ist dagegen auch, was die Ärzte sich über den Grund ihrer Tätigkeit erzählen; weder ist sie Witwe, noch sind ihre Kinder aufgrund der schlechten Versorgung an der Front gestorben. Sie hatte nie Kinder und war nie verheiratet. Man könnte sie einfach fragen, warum sie tut, was sie tut; warum sie nicht davonläuft, so weit sie kann, wie es all die anderen tun. Aber es fragt sie niemand, zumindest keiner der Gesunden; Man hält sich lieber an die Gerüchte und ansonsten fern. Seit dem Einschlag auf dem Dach erzählt man sich, sie sei eine Politische und werde vom Abwehrdienst beobachtet.
Aber vielleicht würde es auch nichts nützen, sie nach ihren Beweggründen zu fragen. Es gibt keine speziellen, auch keine politischen. Es sind die gleichen, die sie schon seit Jahren umtreiben, die sie zuerst auf die Demonstrationen und schließlich in dieses Lazarett geführt haben.

Natürlich kennt auch sie die Gerüchte; über die meisten der stillen Helfer gibt es ähnliche, von der angeblichen Lebensmüdigkeit bis hin zu den politischen Verstrickungen. Viele von ihnen waren auf den Demonstrationen, fast alle gegen den Krieg. Mehr Frauen als Männer sind darunter, aber das mag dem langen Krieg geschuldet sein. Sie wissen, das diejenigen, die sie heilen, wieder kämpfen, wieder töten oder getötet werden; es ist ihnen gleich.
Die meisten von ihnen haben schon Probleme mit dem Abwehrdienst gehabt, und auch wenn dieser inzwischen zusammengebrochen ist, sprechen sie über ihre Ansicht nur selten, schon gar nicht öffentlich. Das wäre auch unnütz; für Lösungen ist es zu spät, das ist auch ihnen klar. Es gibt in jedem Konflikt den Punkt, ab dem der einzige Ausweg in der Vernichtung des anderen besteht, selbst um den Preis der eigenen Auslöschung, und dieser Punkt war schon lange vor den Bomben auf Paris und Hamburg überschritten worden.

Und so spricht auch sie nur über Politik, wenn sie jemand darum bittet; solche Gespräche beginnen meist mit der Frage, warum es so kommen musste und ob nicht alles anders sein könnte. Meist sind es Sterbende, die solche Fragen stellen.
Dann erzählt sie, was damals schon auf den Demonstrationen gesagt wurde, was sie schon lange vor dem Krieg gedacht hat, und die Augen der Geschundenen hängen an ihren Lippen. Wenn sie darüber spricht, kann man in ihrem Gesicht manchmal den Menschen entdecken, der sie einmal war. Es ist nicht die müde, alte Frau mit den den eingebrannten Falten, die vom Frieden erzählt, sondern der kleine Rest einer viel jüngeren. Vielleicht ist dieser Rest das einzige, was sie noch zum Spenden von flüchtiger, oft falscher und gefälschter Hoffnung befähigt; vielleicht, aber darüber denkt kaum jemand nach, dafür sind die Verwundeten zu gierig auf jeden Tropfen Hoffnung, auf jedes Quäntchen Leben. Aber zumindest hören sie genau zu.
Ganz ähnlich wie auch die ständig angetrunkene Helferin im Lazarett unter dem Dach der abbruchreifen Halle müssen viele der guten Seelen das als bittere, als zynische Genugtuung empfinden, dass man ihnen jetzt, da alles zu spät ist, zuhört. Als sie zum ersten Mal ihre Stimme erhoben, hat man sie zunächst ignoriert und dann belächelt. Als sie erste Demonstrationen veranstalteten, hat man sie als Träumer, als unverbesserliche Idealisten abgetan. Auch als die ersten Versammlungen mit Knüppeln aufgelöst wurden, hat man ihnen nicht zugehört und sie stattdessen angepöbelt, beleidigt, später geschlagen. Als man so begierig darauf wurde, die Brüder und Kinder von Bombenlegern zu ermorden, dass man begann, die eigenen dafür in den Tod zu schicken, hat man zehn von ihnen in einer großen Stadt an einem Pfahl aufgehängt, weil man sie als Verräter sah. Jetzt, wo es doch zu spät ist, hängen wenigstens die Augen der Sterbenden an ihren Lippen; Die Welt musste erst schwarz und leer werden, bevor man ihren Worten Gehör schenkte.

Professional losing – Verlieren als Lebenskonzept (Poetry Slam – Finalrunde)

Diesen Artikel drucken 4. November 2007

Diesen Text habe ich im Finale gelesen.
Allzu oft wird es als selbstverständlich angesehen – dabei ist es gar nicht so einfach, wie es aussieht: Verlieren.

Nur wenigen ist bekannt, dass man das auch professionell betreiben kann, und ich möchte die knappe Zeit einmal nutzen, um eine kurze Einführung zu liefern.

Natürlich hat jeder schon einmal irgendwann verloren. Mancher Amateur empfindet sich gar als ‚Loser‘ – aber mit der professionellen Variante, mit dem Lebenskonzept Niederlage hat das meist noch wenig zu tun. Zum Profi-Loser braucht es eine Menge Disziplin, Stärke und manchmal auch Durchsetzungsvermögen. Doch die Anstrengung lohnt sich; in die tiefsten Tiefen des Selbstmitleids werden nur diejenigen finden, die trainieren, trainieren und nochmal trainieren. Für die Einsteiger hier einige kurze Hinweise für die ersten Schritte als Profi-Verlierer:

Punkt 1: Nimm das Endergebnis vorweg!

Der mit Abstand wichtigste Ratschlag; Bevor du irgendetwas anfängst, egal ob beruflich oder privat, musst du dir absolut sicher sein, dass du eine vernichtende Niederlage erleiden wirst.

Lass keinen positiven Gedanken zu; Es kann nicht funktionieren – nur dann wird es auch nicht funktionieren.

Punkt 2: Stürze dich nicht in jedes sinnlose Abenteuer!

Gerade Amateure machen den Fehler, sich in zu viele haarsträubende Unternehmungen auf einmal zu stürzen. Das Problem; statistisch gesehen muss man nur genügend aussichtslose Abenteuer beginnen, bis eines gelingt. Das ist natürlich kontraproduktiv. Also: Wähl genau aus, was du tun möchtest!

Punkt 3: Du bist selbst schuld!

Nur Amateure berufen sich darauf, dass die anderen böse sind und die Welt schlecht ist. Profis geben sich an jedem Fehlschlag selbst die Schuld. Mach dich fertig! Trainier vor dem Spiegel, bis du weinst – und dann trainier dir die Tränen ab. Du brauchst sie vor Fremden.

Punkt 4: Es geht gar nicht anders!

Schlag dir die Illusion aus dem Kopf, es gäbe freie Entscheidungen – denn es gibt keine, zumindest für dich nicht. Du musstest in der Klausur durchfallen, du konntest nur krank werden, du musstest dich betrinken; lass dir nie eine Wahl. Du bist nicht frei; mach das deiner Umwelt klar. Und sieh auf keinen Fall ein, dass das Punkt 3. widerspricht – das tut es nämlich nicht.

Punkt 5: Wenn du auf eins von zwei Pferden setzen sollst – setze auf gar keins!

Nichts liefert dem professional losing mehr Vorschub als nicht zu handeln; das solltest du dir merken. Vermeide es, Probleme anzusprechen oder gar aufzulösen. Warte einfach, bis sie dir nach Jahren um die Ohren fliegen; sicherer geht es gar nicht.

Punkt 6: Trage vereinzelte Erfolge mit Fassung!

Selbst dem besten kann es mal passieren – aus irgendeinem glücklichen Zufall heraus klappt etwas. Auch der Profi ist davor nicht gefeit. Wichtig dabei; bewahre Haltung! Wenn du es geschickt anstellst, kannst du jeden zufälligen Erfolg in eine totale Niederlage umdeuten. Das ist gar nicht so schwer. Beispiele gefällig? „Die Note hatte ich überhaupt nicht verdient!“ oder auch „Das war reiner Zufall!“, im Privaten auch gerne „Jetzt bin ich zwar mit ihr zusammen, aber das will ich ja auch nicht!“. Wer sich an solche Sätze hält, der kann sogar mit Erfolgen umgehen.

Beherzige diese sechs goldenen Regeln – dann steht einer Profikarriere wirklich nichts mehr im Weg.